: „Der G-7-Gipfel einigt sich auf Symbolik“,sagt Susanne Luithlen
Ein großer Wurf zum Schuldenerlass ist bei der Tagung von IWF und Weltbank nicht zu erwarten
taz: Am Wochenende treffen sich die G-7-Finanzminister anlässlich der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank. Es geht vor allem um Vorschläge für Schuldenerlass. Vielen armen Ländern sollen die Schulden ganz erlassen werden. Schlägt Ihr Herz da höher?
Susanne Luithlen: Nein. Da wird viel Lärm um herzlich wenig gemacht. Die Vorschläge sind konzeptionell schwach. Große, arme Länder wie Nigeria und Indonesien, die dringend Schuldenerlass brauchen, werden gar nicht berücksichtigt. Die Rede von „100 Prozent Erlass“ weckt Hoffnungen, dass dann wirklich alle Schulden der begünstigten Länder weg sind und die Länder einen echten Neuanfang machen können. Doch das ist nicht so.
Wieso nicht?
Derzeit liegen im Grunde zwei verschiedene Vorschläge auf dem Tisch: Der britische und der US-amerikanische. Im britischen Vorschlag beziehen sich die 100 Prozent nur auf den Schuldendienst – das heißt auf Zinsen und Tilgungen – bei IWF, Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank, und das nur bis 2015. Kanada hat sich dem britischen Vorschlag weitgehend angeschlossen. Die USA wollen zwar den betroffenen Staaten alle Schulden erlassen, aber das entsprechende Geld soll bei den Zuschüssen wieder abgezogen werden, so dass die Länder ihren Schuldenerlass de facto selbst finanzieren müssen.
Was will die Bundesregierung?
Sie ist wie immer zurückhaltend. Aus informierten Kreisen heißt es, man wolle noch einen eigenen Vorschlag bis zum Gipfel erarbeiten. Dabei soll tatsächlich ein größerer Kreis von Ländern begünstigt werden.
Welche Chancen hätte ein solcher Vorschlag von Rot-Grün denn?
So gut wie keine. Denn das Problem liegt schon innerhalb der Bundesregierung: Innovative und lösungsorientierte Ansätze aus dem Entwicklungsministerium scheitern häufig an der Sparobsession des Finanzministeriums.
Wie wird festgelegt, welchem Land die Schulden erlassen werden?
Wenn die Schulden im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt und zum Exporteinkommen so hoch sind, dass sie als nicht mehr tragfähig definiert sind, sollen sie erlassen werden. Das ist aber viel zu wenig differenziert: Die Welt besteht nicht nur aus Ländern, die 100 Prozent Erlass brauchen und solchen, die gar keinen Erlass benötigen. Zahlreiche Länder, die jetzt wie etwa Nigeria und Indonesien außen vor sind, brauchen dringend Schuldenerleichterungen, aber nicht unbedingt 100 Prozent. Für sie gibt es derzeit keine Lösungen.
Wer legt fest, welchen Ländern die Schulden erlassen werden?
Im traditionellen Schuldenmanagement beurteilen IWF und Weltbank die wirtschaftliche Situation eines Landes und errechnen, wie viel Schuldendienstzahlungen es verkraften kann. Da beide Institutionen zum Teil wichtige Gläubiger der Länder sind, deren Belastbarkeit sie beurteilen, geraten sie durch diese Rolle in einen Interessenkonflikt: Als Gläubiger haben sie Interesse an einem möglichst geringen Erlassbedarf, als Gutachter sollen sie neutral und sachlich die Situation eines Landes beurteilen. Die Erfahrungen zeigen, dass die Institutionen diesen Konflikt fast immer zu Gunsten des eigenen Interesses entschieden haben. Hier für klarere Rollen zu sorgen, wäre ein zielführender Schritt.
Was also können die verschuldeten Entwicklungsländer von der IWF-Tagung erwarten?
Würde etwa der britische Vorschlag umgesetzt, wäre das für die jeweils einbezogenen Länder eine gute Nachricht. Die Erfahrung aus dem Schuldenerlass, der 1999 begonnen wurde, dem so genannten HIPC II …
… HIPC sind die hoch verschuldeten, armen Länder …
… hat gezeigt, dass das aus einem Schuldenerlass freiwerdende Geld tatsächlich für mehr Schulen, Gesundheit und ähnliches ausgegeben wird.
Was ist mit den Ländern, die auf keiner Liste stehen?
Nigeria oder Sri Lanka stehen zum Beispiel auf keiner der aktuellen Listen. Sicherlich, man kann gute Gründe anführen, dass beide Länder einen großes Potenzial haben. Dennoch brauchen sie dringend Schuldenerleichterung, wenn sie die Millenniumsentwicklungsziele erreichen sollen – also Halbierung der absoluten Armut bis 2015 und so weiter. Sri Lanka leidet an den Folgen des Tsunami. Nigeria muss sich nach Jahrzehnten der Diktatur wirtschaftlich entwickeln und knapp 100 Millionen Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben, Zukunftschancen eröffnen. Jeder fünfte Afrikaner ist Nigerianer – das Armutsproblem Afrikas kann nicht gelöst werden, wenn Nigerias Armutsproblem nicht gelöst wird.
Könnten die Millenniumsziele erreicht werden, wenn man den armen Ländern umfassend ihre Schulden erlässt?
Sicher nicht in allen Ländern. Dafür sind weitere Mittel notwendig. Doch wie die aufzubringen sind, ist ähnlich umstritten. Wahrscheinlich wird zunächst einmal gar nichts entschieden. Wenn man sich dann beim Gipfel durchringt, steht zu befürchten, dass der kleinste gemeinsame Nenner das Größte ist, was die G 7 zustande bringen: Im Wesentlichen eine symbolische Geste zur Vermeidung der Selbstblockade und dem damit verbundenen Imageverlust.
Welches Konzept würde weiterführen?
Ein großer Wurf, der auf ein strukturelles Problem eine strukturelle Antwort versucht. Leider liegt der zurzeit nicht auf dem Tisch. Er könnte ein grundsätzlich offenes Entschuldungsverfahren vorsehen, bei dem neutrale Gutachter und nicht die Gläubiger entscheiden, was zu zahlen für ein Land recht und billig ist.
INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN