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Archiv-Artikel

Massaker in der Hochburg des Protests

SYRIEN Mit Panzergranaten gegen Zivilisten: Wahrscheinlich Hunderte Menschen kommen am Wochenende in der Stadt Homs ums Leben. Den Untergrundkliniken gehen angesichts der vielen Verletzten die Vorräte aus

Botschaften gestürmt

■ Nach den Berichten über ein Massaker syrischer Sicherheitskräfte in Homs sind in mehreren Hauptstädten der Welt syrische Botschaften von Demonstranten angegriffen worden.

■ In Canberra verwüsteten etwa 50 Personen die syrische Botschaft in Australien. Auch in Berlin, London, Athen, Kairo, Kuwait und Tripolis wurden die syrischen Vertretungen gestürmt. In London setzte die Polizei Schlagstöcke ein, um am Nachmittag den zweiten Angriff seit dem frühen Samstagmorgen zurückzuschlagen, und nahm zwölf Menschen fest. In Athen gab es 13 Festnahmen. In Berlin gelangten rund 20 Männer und Frauen auf das Gelände der Botschaft und beschädigten Büros und Einrichtung.

■ In Kairo, Kuwait und Tripolis hissten Demonstranten die Fahne der syrischen Opposition über den Vertretungen. In Kairo setzten sie Teile des Gebäudes in Brand. Rund 300 Exilsyrer und libysche Unterstützer besetzten die syrische Botschaft im libyschen Tripolis. Auch in New York und Madrid kam es zu Protesten. (dpa/taz)

AUS BEIRUT GABRIELA M. KELLER

Es war noch früh am Sonntagmorgen, als die syrischen Streitkräfte in der Protesthochburg Homs erneut das Feuer eröffneten. Schüsse und Explosionen dröhnten über Stunden durch die Straßen von Bab Amro, einem Wohnviertel der westsyrischen Stadt. „Homs ist eine Stadt der Angst, eine Stadt des Schmerzes“, sagte Omar Shakir, ein junger Aktivist, der in Bab Amro lebt. Während des Telefonats ist im Hintergrund dumpfes Knallen zu hören. „Wir wissen nicht, was die Streitkräfte gerade für Waffen einsetzen. Solche heftigen Explosionen haben wir in den vergangenen Monaten noch nicht gehört“, sagte Omar Schakir.

Dabei hatte sich Homs noch nicht von den letzten verheerenden Angriffen erholt: Am Freitagabend gegen acht Uhr begann die syrische Armee, mehrere Stadtteile unter Beschuss zu nehmen. Die Angriffe konzentrierten sich auf die Vororte Chalidije und al-Kusur. Wie viele Menschen genau während dieser Offensive getötet worden sind, konnte noch nicht zweifelsfrei ermittelt werden; unterschiedliche Quellen sprachen von 60 bis 280 Toten. Fest steht jedoch, dass es die bisher blutigste Nacht der syrischen Revolte war. Rund 5.600 Menschen sind Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge seit dem Beginn der Proteste vor elf Monaten ums Leben gekommen. Doch keine andere Stadt in Syrien hat die Gewalt so heftig getroffen wie Homs.

In den vergangenen Wochen haben die Proteste in der 800.000-Einwohner-Stadt in Zentralsyrien zunehmend die Züge eines Bürgerkriegs angenommen. Rund 2.000 Kämpfer der „Freien Armee Syriens“ (FAS) sollen sich Anwohnern zufolge in den Wohnvierteln versteckt halten. Beinahe täglich überfallen die Deserteure mittlerweile die militärischen Checkpoints und Konvois des Regimes. Noch kurz vor der Offensive am Freitag hatten die Deserteure zehn Soldaten gekidnappt. Jetzt versuchte die Armee offenbar, die aufständischen Viertel mit allen Mitteln wieder unter Kontrolle zu bringen. Zuletzt hatten sich die Anwohner mehrerer Stadtteile ein gewisses Maß an Autonomie ertrotzt: Bab Amro, Chalidije, Bajada und Teile von Inschat galten schon als „befreite Vororte“.

Die Armee soll die Stadt Oppositionsberichten zufolge fast die ganze Nacht lang mit Mörsern und Panzergranaten beschossen haben. 36 Häuser sind nach Angaben von Augenzeugen unter dem Beschuss zusammengebrochen, ganze Familien wurden unter den Trümmern verschüttet. Rund 600 Menschen wurden verwundet, teilweise schwer. Da den Regimegegnern in den Krankenhäusern die Festnahme droht, können sie sich nur in versteckten Kliniken behandeln lassen. „Die vier Untergrundkliniken in Homs sind völlig überlaufen, ihnen gehen die Vorräte aus“, sagte der syrische Menschenrechtsaktivist Wissam Tarif der taz. „Sie haben nicht die Kapazitäten, eine so großen Menge an Verletzten aufzunehmen. Dieser Angriff hat gezeigt, wie zerbrechlich das System der medizinischen Notversorgung tatsächlich ist.“