: Rotieren auf rasanter Abwärtsspirale
KOREA Zu viele Schulden, zu viel Sex: In „Kashi“ von Kim Joong-hyun (Forum) und Jeon Kyuh-wans „From Seoul to Varanasi“ (Panorama) herrscht Winter
Gefrorene Beziehungen, frostige Begegnungen: Korea kann sehr kalt sein. Gleich zwei Filme, die aus Korea auf die Berlinale eingeladen sind, nutzen den Winter als Metapher. Am Anfang von Jeon Kyuh-wans „From Seoul to Varanasi“ fährt ein Boot durch die brechenden Eisschollen Koreas.
In „Kashi“ von Kim Joong-hyun stapft zu Beginn ein Paar über eine Schneedecke. In einer Erholungspause bietet Youn-ho seiner Freundin einen Becher heißen Tees aus der Thermosflasche an. Das ist die zärtlichste Geste des ganzen Films, aber nichts taut mehr auf. Am Ende ist der Schnee noch schmutziger geworden, der Junge liegt verlassen am Straßenrand und erinnert sich an das letzte Gespräch mit seiner Mutter: sie quittiert einen Mahnbrief vom Amtsgericht mit einer abschätzigen Geste, da weist er sie verbittert zurecht: „Lach nicht, das alles erstickt einen doch.“
Der Filmtitel „Kashi“ („Choked“) deutet es an: Schulden schnüren einem die Kehle zu. Die Mutter hat sich auf einen obskuren Handel mit einem Nahrungswundermittel eingelassen und wird nun das Zeug nicht mehr los. Es soll zwar einst sogar der amerikanischen Präsidentengattin zur Verjüngung verholfen haben, aber auf irgendwelche präsidialen Privilegien für ein rettendes Darlehen darf die unglückliche koreanische Familie nicht hoffen.
Mutter, Sohn, Tante: jeder für sich rotiert auf einer rasanten Abwärtsspirale, und alle zusammen machen sich gegenseitig das Leben noch schwerer. Die Mutter taucht ab und lässt einen Haufen Schulden zurück, der Sohn weigert sich, dafür die Verantwortung zu übernehmen, die Tante macht allen heftige Vorwürfe.
Youn-ho gerät unter den Druck der Organmafia und einer aggressiven Immobilienfirma, seine Mutter hält sich als Küchenhilfe in einem Restaurant über Wasser, wird dann aber verraten und verhaftet. Die Tante gerät bei armseligen Schwarzmarktgeschäften mit dem Gesetz in Konflikt. So nimmt ein wahres „feel bad movie“ seinen Lauf.
Noch schmerzlicher als die große Schuldenkrise ist eine Reihe emotionaler Momente, die die Personen im Innersten treffen. Die Gespräche miteinander enden in hilfloser Schreierei oder düsterem Schweigen. Der Mutter dämmert allmählich, wie groß die Distanz zu ihrem Sohn geworden ist. Und als Youn-ho seiner Freundin die neue gemeinsame Wohnung vorführt, wird das zur Enttäuschung seines Lebens: das Mädchen registriert sachlich, wer so eine kleine Wohnung miete, werde sich wohl schon gar kein Auto mehr leisten können.
Zu viele Schulden, das ist manchmal auch nicht besser als zu viel Sex, nur lässt der sich anschaulicher ins Bild setzen. Davon macht der Film „From Seoul to Varanasi“ reichlich Gebrauch. Im ersten Bild fährt ein Boot durch brechende Eisschollen, danach sieht man einen Mann bei unverfrorenem Treiben abwechselnd mit seiner Geliebten in verschiedenen Hotelzimmern und mit seiner Ehefrau im heimischen Schlafzimmer. Die philosophische Überhöhung dafür liefert er gleich mit: Eine Heirat ist fürs Vergnügen, eine Affäre für die Sucht nach Vergnügen. Er gibt sich aber nicht nur als homme à femmes, sondern auch als homme de lettres. Er ist erfolgreicher Verleger, liest angeblich viele Bücher, wird aber, wenn er auf seiner teuren Anlage klassische Musik hört, mit einer aufgesetzten Andachtsmiene endgültig zur Karikatur des Bildungshubers alter Schule.
Anders als bei Jeons letztes Jahr in Berlin gezeigten Film über eine Flucht von Nordkorea nach Südkorea bleiben im neuen Film die Personen immer wieder in Plattitüden stecken: der Protagonist als Lebemann, der neue Freund seiner Frau als das absolute Gegenbild: ein libanesischer Kellner, der als Moslem einer verheirateten Frau gegenüber den hehrsten moralischen Grundsätzen verpflichtet ist. Mit ihm besucht sie die heilige Stadt des Hinduismus Varanasi. Dort aber übernimmt ein finsterer Islamist die Initiative, als diabolus ex machina. HELMUT MERKER
■ „Kashi“: 14. 2., 19 Uhr, CineStar 8; 15. 2., 14 Uhr, Arsenal 1; 16. 2., 20 Uhr, Cubix 9; 18. 2., 22 Uhr, CineStar 8
■ „From Seoul to Varanasi“: 12. 2., 22 Uhr, CineStar Event Cinema; 13. 2., 17.45 CineStar 3; 14. 2., 20.15 Uhr, CineStar 3; 17. 2., 19 Uhr, CinemaxX 7; 19. 2., 17.45 CineStar 3