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Archiv-Artikel

„Runter vom Ölfass“

NACHHALTIGKEIT Warum grüne Arbeitsplätze helfen können, die Welt zu verändern, und wie man runter von der Droge Öl kommt, erklärt Jerome Ringo, derzeit wichtigster Ökonetzwerker der USA

Jerome Ringo

■ Jahrgang 1955, beginnt als Arbeiter in der Chemieindustrie. Erster schwarzer Präsident der Umweltorganisation National Wildlife Foundation; 2005–2010 Präsident der Apollo Alliance, eines Zusammenschlusses von Wirtschaft, Umweltorganisationen und Gewerkschaften.Heute ist er Geschäftsführer bei Bard Holding, einem Unternehmen für saubere Energien.

INTERVIEW MAREIKE BARMEYER UND REINER METZGER

tazlab: Herr Ringo, die Ökofrage ist längst zu einer politischen geworden. In Deutschland besteht allerdings die Gefahr, dass sie zu einer wird, die nur die Mittelklasse betrifft. Wie verhält sich bei Ihnen in den USA?

Jerome Ringo: Es ist tatsächlich eine Herausforderung, alle Schichten zu erreichen. In den USA geht es vor allem darum, die Mittelklasse zu involvieren. Gerade weil diese besonders schwer durch die Wirtschaftskrise getroffen wurde – weltweit. Gleichzeitig sind wir mit Umwelteinflüssen konfrontiert, die das Ergebnis schlechter Praktiken sind und die Auswirkungen auf alle haben. Vor allem aber auf die materiell ärmeren Menschen. Es ist wichtig, dass wir die Mittelschicht dazu bringen, die Vorteile einer nachhaltigen Zukunft zu sehen. Etwa mit neuen grünen Jobs, die dabei helfen, die Ökonomie anzukurbeln.

Eine nachhaltige Umweltpolitik bedingt also auch eine nachhaltige Wirtschaft. Das kauft Ihnen die Mittelschicht in Ihrem Land ab?

Vor allem erkennt sie allmählich die Dringlichkeit, neue Jobs zu schaffen. In den USA realisieren wir jetzt erst, dass grüne Jobs Chancen bieten, die Ökonomie überhaupt zu ändern – in erster Linie im Hinblick auf die Produktion.

Afroamerikaner gehören zu den ärmsten Menschen in Ihrem Land. Inwieweit spielt die Hautfarbe eine Rolle in ihren Bemühungen, eine Nachhaltigkeitsbewegung zu schaffen?

Zwei von drei Afroamerikanern leben in unmittelbarer Nähe einer Müllhalde. Industrie- und Kläranlagen liegen in unseren Nachbarschaftsvierteln. Außerdem belastet die Wirtschaftskrise die armen Menschen mehr, weil in den ärmsten Communitys die Jobs verschwinden. Arme Menschen fangen gerade erst an, Einfluss auf Nachhaltigkeit zu haben. Nicht nur was Arbeitsplätze angeht, sondern auch was die Verringerung von Energiekosten betrifft.

Inwiefern?

Arme Menschen geben mehr Geld für Energie aus als reiche, weil ihre Häuser keine Doppelverglasung oder angemessene Isolierung haben. Reiche kaufen energiesparende Autos. Arme können sich das nicht leisten, deshalb fahren sie diese Benzinschlucker, die sie natürlich letztendlich mehr kosten. Arme Menschen beginnen nun erst, starken Wert auf Nachhaltigkeit zu legen, weil es wirtschaftlich für sie Sinn macht.

Wenn man zu alternativen Energien wechselt, treibt man normalerweise die Energiepreise zuerst in die Höhe, weil man für den Wechsel zur Nachhaltigkeit zahlt.

Ja, das ist richtig. Aber indem wir von öffentlicher und privater Seite mehr in die Forschung für effektivere und nachhaltigere Produkte investieren, werden die Preise sinken. Das wird armen Menschen weltweit die Vorteile einer nachhaltigen Zukunft vereinfachen.

Hat die Präsidentschaft von Barack Obama ihr Vorhaben beeinflusst?

In der Tat – mit einem 800-Milliarden-Dollar-Paket, das die Wirtschaft ankurbeln sollte. Davon wurden 110 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung alternativer Energien und nachhaltiger Produkte beiseitegelegt. 5,5 Milliarden dieses Geldes wurden benutzt, um amerikanische Häuser wetterfest zu machen – sprich: ihre Energiekosten zu reduzieren, hauptsächlich die Häuser der Ärmsten.

Sehen Sie persönlich die Zukunft eher optimistisch oder pessimistisch?

Auf globaler Ebene bin ich optimistisch. Wir sind sicherlich noch nicht am Ziel, was Nachhaltigkeit angeht. Natürlich nicht, dafür waren die Versäumnisse in der Vergangenheit zu stark. Aber wir machen Fortschritte. Angesichts der schwankenden Benzinpreise und der Instabilität der Länder, die uns das Öl liefern, werden die meisten Länder grüne Technologien fördern. In den USA importieren wir 70 Prozent unserer fossilen Brennstoffe aus anderen Ländern. Viele dieser Länder mögen uns nicht, etwa Venezuela, Irak oder Iran. Diese Länder aber bedienen Amerikas Appetit auf Energie. Eine Möglichkeit, Unabhängigkeit von ausländischen Energiequellen zu erreichen, besteht in der Entwicklung von Einsparungs- und Nachhaltigkeitsprogrammen für die Zukunft. Das wird die Wirtschaft mit grünen Jobs ankurbeln, gleichzeitig die Umwelt schützen und uns vom Ölfass holen. Also jenes, das uns an fremde Regierungen bindet.

Ihr Bild kommt mit allzu schönen Farben daher. Die Regierung von Präsident Obama drückt doch auf die Bremse, sobald Europa Energiespargesetze vorschlägt. Haben sie eine Erklärung für diese politische Bremsung?

Unglücklicherweise liegt das in der Natur der Politik. Weil wir ein System haben, in dem es Republikaner und Demokraten gibt. Es gibt aber Leute auf beiden Seiten, die den Klimawandel ernst nehmen. Die Ölunternehmen allerdings haben immer noch einen großen Einfluss. Aspekte des Klimawandels, die nicht nur Demokraten, sondern auch Republikaner betreffen – wie Wirbelstürme in Kombination mit hohen Benzinpreisen –, werden hoffentlich einen Anstoß geben, der über Parteilinien hinausgeht.

Das ist die Hoffnung auf eine nationale Lösung. Machen Klimagipfel wie jene in Kioto und Kopenhagen überhaupt noch Sinn?

Wenn die größten Länder der Welt nicht mit gutem Beispiel vorangehen, sind sie nicht viel wert. Wenn sie auch ein gutes Forum sind, sich eine Stimme zu verschaffen. Die USA sind das fünftgrößte Land der Welt, wir produzieren 35 Prozent des weltweiten CO2. Wir verbrauchen ein Viertel der Energie weltweit – und trotzdem haben wir Kioto noch nicht ratifiziert. Solange die USA, China und Indien in Sachen Klimawandel nicht die Führung übernehmen und ihren CO2-Ausstoß reduzieren – so lange machen solche Gipfel wenig Sinn.

In Ihrer konkreten Arbeit in den USA kommt eine Koalition seltsamer Bettgenossen aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Umweltorganisationen als Lösung vor. Warum sollen sie alliieren?

Diese merkwürdigen Bettgenossen müssen ihre Differenzen beiseitelegen, um der Humanität willen, um sich auf etwas zu konzentrieren, worüber sie tatsächlich einer Meinung sind. Sie sind sich etwa alle einig, dass die amerikanische Wirtschaft in Schwierigkeiten steckt und dass grüne Jobs dabei helfen können, die Wirtschaft anzukurbeln. Ob sie nun die Arbeiter vertreten oder die Umweltschutzbewegung oder die Glaubensgemeinschaften, jeder hat ein wirtschaftliches Interesse an einer nachhaltigen Zukunft, die die Lebensqualität aller Bürger verbessert.

Die großen Firmen sitzen also mit am Tisch. Sind Sie nicht besorgt, dass diese Unternehmen Sie nur dazu benutzen, um sich ein imagefreundliches grünes Image zu verpassen?

Nein, das bin ich nicht. Ich glaube, dass die großen Unternehmen unbedingt mit dabei sein müssen. Ich habe selbst lange in der petrochemischen Industrie gearbeitet und weiß daher, dass sie von Profitgier getrieben werden. Wenn die großen Unternehmen erst einmal den Profit sehen, den ihnen eine Investition in die Nachhaltigkeit bringt, dann werden auch die großen Unternehmen dabei sein wollen. BP zum Beispiel investiert enorme Summen in die Forschung und Entwicklung von alternativen Energien. Es ist wichtig ,dass diese großen Unternehmen mit von der Partie sind, weil sie die Mittel und die Gelder haben, die Forschung und Entwicklung alternativer Energien zu fördern. Und sie können dabei helfen, Jobs auf jeder wirtschaftlichen Ebene zu schaffen.

BP ist ein gutes wie schlechtes Beispiel. BP hatte seine Investition in alternative Energien verstärkt und nannte das „Beyond Petroleum“. Unterdessen sind sie wieder zurück im Ölgeschäft und ihre Umweltabteilungen sind schwer geschrumpft.

Wir haben den Punkt noch nicht erreicht, den ich für erfolgreich halte. Die Ölkonzerne geben mehr Geld für ihre Fernsehwerbung aus als für ihre grüne Entwicklung. Sie werden immer dafür werben, weiter zu bohren. Hier muss sich die Regierung einmischen. Wir müssen Ölfirmen mehr zur Verantwortung ziehen und wir müssen weg von den Steuervergünstigungen, die wir diesen Unternehmen einräumen. Die Regierung sollte Firmen die Steuern vergünstigen, die in alternative Energien investieren. Einige der Ölfirmen kapieren das. Die meisten tun das nicht.

In Deutschland gibt es eine Art Gleichgewicht durch die Industrie der Erneuerbaren. Wir haben grüne Energieunternehmen, die erkennen, dass Nachhaltigkeit auf lange Sicht gut für ihren Profit ist. Und wir haben die großen Energiekonzerne, die in dieser Hinsicht viel langsamer sind. Ist das in den USA auch der Fall?

Ja, das wird kommen. Zum Teil hat das mit den Richtlinien zu tun, die gerade entwickelt werden. 31 Staaten haben ein Gesetz verabschiedet, die den Unternehmen Steuervergünstigungen bieten, wenn sie vor Ort alternative Energien entwickeln. Das schafft Jobs. Diese Staaten fördern auch ein bundesweites Verfahren, das einen gewissen Prozentsatz an Energie festlegt, wie viel im Land produziert wird und wie viel davon alternative Energie sein muss.

Wie viel Prozent?

Das ist von Staat zu Staat unterschiedlich. In Pennsylvania müssen zum Beispiel 19 Prozent der gesamten Energie alternativ sein. Und sie schaffen Steuervergünstigungen, um sicherzustellen, dass sie dieses Ziel erreichen. Viele grüne Unternehmen ziehen jetzt nach Pennsylvania.

Handelt es sich dabei nur um einige Staaten, oder ist das schon eine breitere Bewegung?

Es gibt Bemühungen sowohl auf der lokalen wie auch auf der staatlichen Ebene. Nach Kioto haben viele amerikanischen Städte und Staaten dieses Thema selbst in die Hand genommen und angefangen, Richtlinien für die CO2-Reduktion festzulegen. Ich glaube, das amerikanische Volk wird letztlich vorangehen, einfach weil es das Richtige ist.

Titel des tazlabs ist „Das gute Leben: Es gibt Alternativen“. Welche gibt es in Ihrem Land?

Wir müssen die amerikanische Produktion wiederbeleben. Staaten wie Michigan, Illinois, Ohio oder Pennsylvania haben Millionen Arbeitsplätze verloren. Nun gibt es eine Wende. General Motors hat begonnen, energiesparende Autos herzustellen. Die meisten Fahrzeughersteller bauen heute auch Elektroautos. Die Investitionen der Regierung und ihre Forderungen nach leistungsfähigeren und grüneren Autos scheinen sich auszuzahlen. Es gibt wieder Arbeit. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie die Nachhaltigkeitsbewegung wirkt. Ich bin sicher, das wird in der ganzen Welt nachhallen.

Reiner Metzger, stellvertretender Chefredakteur der taz, und Mareike Barmeyer, Mitglied des tazlab-Teams, führten Ihr Gespräch mit Jerome Ringo telefonisch