Kein Schleusungsskandal erster Klasse

Aber eine „Kanzlerin erster Klasse“. Die Leiterin der Kiewer Visastelle schafft, was Staatsminister nicht konnten: den Skandal klären. Rot-grüne Erlasse machten Missbrauch leicht. Nur ist die Dimension kleiner, als die Union behauptet

BERLIN taz ■ Der Minister saß 12 Stunden auf dem Zeugenstuhl. Seine Staatsminister befiel dort stets partieller Alzheimer. Die „Kanzlerin erster Klasse“, Klara Hoppmann, brauchte gestern Nachmittag ganze 12 Minuten und ein bisschen Nachdenken – und schon war der Visamissbrauch aufgeklärt.

Glaubt man Klara Hoppmann, 42, der damaligen Leiterin der Visastelle der Botschaft in Kiew, dann lassen sich Qualität und Quantität der Schleuserei via Ukraine ziemlich präzise beschreiben. Das heißt: Rot-grüne Erlasse haben es Schleusern möglich gemacht, auf quasi legalem Wege Menschen aus dem Land zu bringen. Denn die so genannten Reiseschutzversicherungen konnten danach nicht mehr intensiv genug geprüft werden – und wurden, so Hoppmann, „zum leichtesten Weg für Ukrainer, um ein Visum zu erlangen“. Diese Versicherungen, die Arztbesuche und Abschiebungen finanzieren, waren unter Rot-Grün zeitweise zu Freifahrtsscheinen nach Deutschland geworden.

Allerdings konnten auf diese Weise keineswegs eine Million als Touristen getarnte Kriminelle, Prostituierte und Schwarzarbeiter nach Deutschland kommen. Diese Zahl an Visa wurde zwar binnen drei Jahren ausgestellt. Aber die Summe der über die missbrauchsanfälligen Instrumente wie Carnet de Touriste, Reiseschutzpass oder das Reisebüroverfahren ausgestellten Sichtvermerke liegt weit darunter. Pro Jahr dürften etwa 50.000 davon ausgestellt worden sein. Das ergibt sich daraus, dass unter der Ägide von Klara Hoppmann Carnets und Schutzpässe schnell limitiert wurden – mehr als 100 pro Tag gaben die gestressten Konsularbeamten in Kiew nicht mehr aus.

Der wahre Schuldige, so schien es gestern im Saal 4900 des Bundestages, ist nicht Joschka Fischer, nicht Ludger Volmer und nicht Otto Schily – sondern der höhere Dienst. Alle bislang geladenen Zeugen entstammten dieser Beamtenklasse. Alle kämpften mit ihrer Erinnerung. Alle mussten in der Kommunikation mit Partnerdienststellen umständliche, formelle Wege gehen. Klara Hoppmann aber kommt aus der Klasse darunter: dem gehobenen Dienst. Sie kann sich prima erinnern und sie kommunizierte direkt mit allen, die wichtig waren – etwa mit den Kontaktbeamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) oder des Bundeskriminalamtes (BKA).

So kam es, dass Hoppmann sehr schnell nach dem Erlass vom 15. Oktober 1999 wusste: Das Carnet de Touriste wird missbraucht. „Weil es für die Beamten schwer war, bei einer überzeugend vorgetragenen Legende die Ablehnung eines Visums zu begründen.“ Wahrscheinlich wären nicht drei quälende Jahre vergangen, ehe die Erlasse wieder korrigiert wurden, hätte Hoppmann nicht nur dem gehobenen Dienst angehört. So aber konnten die künftigen Botschafter in der Berliner Zentrale, allesamt im höheren Dienst, die frühen Eingaben (im Dezember 1999) der Frau aus Kiew zurückweisen. Es brauchte halt ein bisschen, bis auch sie glauben durften – als sie nämlich von ihren gleichrangigen Kollegen von BGS und BKA informiert wurden. CHRISTIAN FÜLLER