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Dichten und kichern

Nach vorne flüchten und mitsingen: Saul Williams predigte im Mudd Club zu den Konvertierten, schaffte aber mit seiner Liebe zum Wahnsinn auch Distanz zur schlimmen Schlechtigkeit der Welt

VON STEPHANIE GRIMM

Der Sonntagabend war matt und nass, man freute sich schon auf ein zivilisiertes, vielleicht sogar bestuhltes Konzert in der Kalkscheune. Dort bekam man dann einen Flyer inklusive Getränkegutschein in die Hand gedrückt, mit Instruktionen, wie man den Mudd Club findet. Trösten konnte das nicht – im Keller des Mudd Club war die Luft miserabel, die Leute schoben sich hin und her, und alles schien anstrengend.

Natürlich ist es Quatsch, sich ausgerechnet bei Saul Williams gemütlich einrichten zu wollen. Schließlich werden dem New Yorker Rapper, Slam-Poetry-Aktivist und Gelegenheitsschauspieler eine beeindruckende Bühnenpräsenz und ausgeprägtes Sendungsbewusstsein nachgesagt. Sein Vater war Prediger, die Mutter Lehrerin, irgendwo geistern sogar die Black Panther im Familienhintergrund herum. All das hört man seiner Musik ebenso an wie seiner Dichtkunst, die es mittlerweile übrigens schon auf die Lehrpläne amerikanischer Schulen und Universitäten geschafft hat.

Als das Konzert anfängt, scheint die Flucht nach vorne der vernünftigste Entschluss. Wenn man sich direkt vor der Bühne positioniert, schwappt einem sofort die Energie eines 33-jährigen, drahtigen Springteufels entgegen. Und siehe da, die Rechnung geht auf. Sobald er, unterstützt von seinem vollbärtigen DJ, auf der Bühne steht, ist der diffus durch den Raum wabernde Unmut neutralisiert. Auch die Dramaturgie der Veranstaltung macht es einem leicht. Bretternder Punk-Rap wechselt sich ab mit beschwörenden Gedichtrezitationen, denen man auch beim ersten Hörern als Nichtmuttersprachler erstaunlich gut folgen kann. Einen Moment dauert es trotzdem, bis man mit Saul Williams’ Universum ins Reine kommt.

Schließlich ist es ein bisschen befremdlich, wenn plötzlich 30-jährige Mitte-Hipster, die vermutlich an popkulturellen Diskursen stärker interessiert sind als an einem wie auch immer gearteten Aktivismus, plötzlich auf Handbewegung den Refrain von „African Student Movement“ mitgrölen – einem Song von seiner zweiten, der aktuellen Platte, „Saul Williams“. Dabei werden sie derart enthusiastisch, dass sie gar nicht mehr aufhören wollen. Auch wenn Williams, wie es sich mittlerweile für jeden rechtschaffenen Amerikaner gehört, auf seine Regierung schimpft, hat das was von „preaching to the converted“.

Allerdings wäre es auch zu kurz gegriffen, Williams auf sein Sendungsbewusstsein zu reduzieren und deswegen humorlos zu finden. Seine Texte sind surreal, nicht belehrend, sodass seine Welterklärungsversuche, auch wenn sie sich naturgemäß größtenteils unerbaulichen Themen widmen, immer auch leicht Richtung Wahnsinn kippen und damit auch gleich wieder ein bisschen Distanz zur schlimmen Schlechtigkeit der Welt schaffen.

Dazu passt, dass Williams seine verschiedenen Betätigungsfelder so beschreibt, dass die Dichterei harte, mühsame Arbeit sei – die Musik, die sich zwischen Rap und Punk und Rock bewegt, dagegen Entspannung und Erholung sei. Andere Menschen würden das wohl Katharsis nennen.

Wirklich beeindruckend auch, wie freundlich und sympathisch der Musiker bei all dem Exorzismus bleibt. Damit befreit er das Publikum von politisch korrekten Zwanghaftigkeiten, was es ihm durch wachsende Begeisterung dankt. Williams’ Ansagen zwischen den Songs werden immer länger, kicheriger, zwischen ihm und dem Publikum entspinnt sich ein alberner Schlagabtausch. Williams streut immer mehr Gedichte in die Zugaben und freut sich, dass alle so gut Englisch können. Und wenn nicht irgendwann Musik vom Band eingeschaltet worden wäre, würde in diesem Augenblick wahrscheinlich die zweihundertste Zugabe gefordert.

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