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Archiv-Artikel

Ein angemessener Schulkompromiss

Österreichs Großparteien wollten Schulreformen mal ohne Verfassung schaffen. Übrig bleibt ein Rätsel: Die „angemessene differenzierte“ Schule

WIEN taz ■ Nicht einmal banale Veränderungen ihrer Schule schafften die Österreicher bisher. So scheiterte die Umbenennung des Fachs „Leibesübungen“ in „Bewegung und Sport“. Denn jede Schulreform musste mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden – weil die öffentliche Erziehung die Verfassung schmückt. Das sollte sich nach Pisa ändern. Der zweite weltweite Schultest 2003 sah die Österreicher nur noch gleichauf mit den Deutschen Pisa-Versagern.

Also überrumpelte SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer Anfang des Jahres die konservative ÖVP. Er bot an, die Zweidrittelmehrheit für die Schule abzuschaffen. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer zeigte sich von diesem großzügigen Angebot zunächst nur mäßig begeistert. Dann erklärte sie die Initiative schlicht zu ihrer eigenen: „Ich habe jetzt vorgeschlagen, die Zweidrittelmehrheit für Schulsachen aufzuheben.“ Der Weg schien frei.

Doch nun fielen Alfred Gusenbauer Vorbehalte ein. Die Unentgeltlichkeit des Unterrichts müsse selbstverständlich in der Verfassung verankert bleiben, merkte er zunächst an. Und setzte als ehemaliger Ministrant in den heiligen Tagen vor Ostern nach. Bei einem Treffen mit Kardinal Christoph Schönborn versprach Gusenbauer, sich auch für den Verfassungsrang des Religionsunterrichts einzusetzen.

Grund genug für die genervte Bildungsministerin Gehrer, ihrerseits draufzusatteln. Sie verkündete, man werde der SPÖ entgegenkommen – wenn auch das nach Leistung gegliederte Bildungssystem weiter in der Verfassung stehe. Für die bürgerliche ÖVP ist und bleibt die Gesamtschule Teufelszeug. Zwar lässt sich aus Pisa-Ergebnissen ein Zusammenhang zwischen der frühen Trennung in Hauptschule und Gymnasium und mäßigen Lernerfolgen ablesen. Aber die ÖVP behauptet tapfer, Österreichs System habe sich bewährt. Mit der Monoschule des Pisa-Siegers Finnland lasse sich die Alpenrepublik nicht vergleichen.

Als die Schulfrage vorletzte Woche im zuständigen Parlamentsausschuss auf der Tagesordnung stand, entwickelte sich der Schulstreit zur Politburleske. Die Verhandler von ÖVP und SPÖ zogen sich zum Privatissimum zurück. Stundenlang brachten sie damit zu, eine Kompromissformel für die leidige Schulfrage auszukochen. Was am Ende als großer Durchbruch verkauft wurde, ist für den Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk „erbärmlich“.

Neben Schulgeldfreiheit und Religion will der Gesetzgeber tatsächlich auch der Schulform Verfassungsrang verleihen. Es oll heißen: In Österreich sei „ein differenziertes Schulsystem vorzusehen, das zumindest nach Bildungsinhalten in allgemeinbildende und berufsbildende Schulen und nach Bildungshöhe in Primar- und Sekundarschulbereiche gegliedert ist, wobei bei den Sekundarschulen eine weitere angemessene Differenzierung vorzusehen ist“. Auf die „angemessene Differenzierung“ kommt es an.

Wie nicht anders zu erwarten, sehen die schwarz-roten Partner die Interpretation der Kompromissformel recht unterschiedlich: Die ÖVP sieht damit die Gesamtschule auf ewige Zeiten verhindert. Während Gusenbauer überzeugt ist, dass damit alles möglich sei, was die SPÖ schon lange vorhat. Nur die Grünen machten auf Spielverderber. Letztlich werde der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden haben, was eine „angemessene Differenzierung“ ist. Verfassungsrechtler stimmen dem zu: „Das ist in Wahrheit ein Wahnsinn, dass man die schwierigste und umstrittenste Frage einem Gericht überträgt.“ RALF LEONHARD