: Animal Crackers
DAS SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER
Meise ist wieder da. Nun schon das dritte Frühjahr. Wenn die Balkontür geschlossen ist, fliegt Meise draußen so lange auf und nieder und glotzt durch die Scheibe, bis ich sie öffne. Plötzlich sitzt er – irgendwann habe ich beschlossen, dass es ein er ist – auf dem Monitor und guckt mich herausfordernd an. Hüpft über die Tastatur und pickt wie nebenbei in einen meiner Finger. Oder kackt vom Mikrofonständer.
Manchmal sitzt Meise, wenn ich nach Hause komme, auf dem Küchentisch und hackt im Hundertstelsekundentakt eine Nuss aus dem Brot, das ich nicht weggeräumt habe. Dazu muss er durch das Arbeitszimmer und dann um die Ecke fliegen. Meises leichteste Übung. Meistens geht es ihm ums Essen, aber ab und zu wird er auch von reinem Übermut gepackt. Dann fliegt er beim vorderen Balkon rein, quer durch die Zimmer durch und hinten wieder raus. Nach einer Weile mit gleicher Geschwindigkeit wieder zurück. Daran haben wir beide großen Spaß und mir fällt Montaignes Überlegung ein: „Wenn ich mit meiner Katze spiele – wer weiß, ob ich nicht mehr ihr zum Zeitvertreib diene als sie mir?“ Ich diene Meise eindeutig zum Zeitvertreib – und als bequeme wie luxuriöse Futterquelle, denn wo kommt man schon so easy an Dinkel-Nussbrot ran?
Meise erinnert mich an meine verstorbene Oma. Die hatte auch so einen aufmerksam-kritischen Gesichtsausdruck. Darf man Tiere mit Menschen vergleichen? Tiere mit Menschen: ja – Menschen mit Tieren: nein?
Als Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrats der Juden, dem katholisch-sauerländischen SPD-Chef Franz Müntefering die Antisemitismus-Absolution ob seiner Heuschreckenmetapher erteilte, tat er dies nicht ohne den mahnenden Hinweis: „Tiervergleiche sind grundsätzlich unglücklich.“ Wieso eigentlich?
Herrn Goppel von der CSU könnte ich nie hassen, weil er mich immer an eine der ulkigen Schwestern aus der Schafherde in „Schweinchen Babe“ erinnert. Günter Netzer im Gespräch mit Gerhard Delling sieht aus wie ein uralter Fisch, der tief unten auf dem Meeresboden lebt und gaaanz langsam Weisheiten aus seinem Riesenmaul entlässt. Meine Freundin Leyla hat etwas von einem poussierlichen und ewig unentschlossenen Biberfräulein, und einst liebte ich einen Mann, nur weil er einen Gesichtsausdruck wie ein gütiges Kamel haben konnte. Menschen, die wie Tiere sind, sind mir die allerliebsten. Irgendwo an ihnen ist noch etwas Echtes. Etwas, das nichts anderes sein möchte, als es ist.
Tierliebe in Deutschland ist nicht unumstritten. Wie kaum etwas in Deutschland, das mit Gefühl zu tun hat. Wenn es sich nicht gerade um Schuldgefühl handelt. Das ist eindeutig und erlaubt. Liebe zu Tieren gilt als sentimental. Eine Übertreibung. Schließlich liebte Hitler seinen Schäferhund. Seitdem hat der Schäferhund bei korrekten Antifaschisten verschissen. Ariel Scharon liebt seinen auch. Antisemiten stört das nicht weiter.
In den meisten Kulturen behauptet sich immer noch der Mensch als Krone der Schöpfung. Dabei wissen Biopsychologen und Neurowissenschaftler schon länger, dass dies ein Irrglauben ist. Er beruht auf der Annahme, dass sich das Gehirn linear mit immer neuen Wirbeltierklassen – also von Fischen, Amphibien, Reptilien,Vögeln bis hin zu Säugetieren – entwickelt habe, und der Mensch ist ja immer noch das allertollste Säugetier, deshalb auch mit seinem großen Gehirn ganz oben. Irritierend an der Sache war aber immer, dass Schlachthofärzte dauernd darauf beharrten, dass sich ein Schweinehirn nur unwesentlich vom menschlichen unterscheidet. Der Unterschied liegt im Neokortex, der Großhirnrinde. Je „intelligenter“ ein Tier, desto größer der Neokortex. Er sitzt quasi in der gehirnlichen Dreifaltigkeit von Stammhirn, Kleinhirn und Großhirn ganz oben. Der Neokortex kann Dinge in klitzekleine Einheiten zerlegen, Strategien entwickeln, in die Zukunft denken, Unangenehmes verdrängen und Verhaltensmuster erkennen und verändern. Außerdem kann er gleichzeitig lieben und hassen. Übrigens etwas, das laut Tierforschern kein Tier beherrscht. Warum auch.
Nun weiß aber die Forschung inzwischen, dass Evolution nicht linear, sondern in verschiedenen Verzweigungen verläuft. Dass Vögel zum Beispiel gar nicht so blöd sind, wie die Kronenschöpfung annahm. Nicht nur, weil wir erkannten, dass Krähen Werkzeuge bauen. Man stellte in Experimenten sogar fest, dass Tauben zwischen kubistischer und impressionistischer Malerei unterscheiden können – Untersuchungen, die eindeutig darauf hinzielen, den Tieren etwas abzuverlangen, das wir für intelligent halten.
Dabei müssten wir doch schon längst erkannt haben, dass es nicht darum gehen kann, den Lernprozess einseitig zu veranstalten. Jaja, Bioniker (das sind die, die in Architektur, Design und Maschinenbau die Tiere nachahmen) und mancher Hundebesitzer, der die Intelligenz seines Hundes nicht nur an Befehlsbefolgung misst, wissen das auch schon. Aber eigentlich geht es doch um eine alltägliche Erkenntnis: Interspezies-Kommunikation ist nicht nur etwas für Wissenschaftler und alte Frauen!
Interspezies-Kommunikation, das ist natürlich auch der Austausch mit Pflanzen; großes Vorbild immer wieder: unser aller Prinz Charles, den vor 20 Jahren alle auslachten, weil er sich mit seinem Garten unterhielt. Aber wer weiß, wie lecker dessen Erdbeeren heute schmecken … Interspezies-Kommunikation macht klug und glücklich, weil man etwas aus anderen Welten erfährt, und das macht unsere kleine enge Wahrnehmung groß und weit. Insofern muss man den Mensch-Tier-Vergleich gelassen sehen. Die Heuschrecke dürfte in Deutschlands Medienredaktionen zu den in letzter Zeit am häufigsten gegoogelten Tieren gehört haben. Es war nicht allzu viel über ihre Charaktereigenschaft zu erfahren, außer dass sie offenbar immer hungrig ist. Besonders die Wanderheuschrecke und besonders im Zeitalter der Globalisierung.
Allerdings ist sie koscher und viele Völker haben sie gern gegessen: u. a. Israeliten, Sumerer, Babylonier. Zum Granatapfel etwa soll sie sehr lecker sein. Wenn es aber zu viele sind, sodass einem der Appetit vergeht, dann sollte man den heiligen Pantalon anrufen. Er gehört zu den 14 Nothelfern, ist Schutzpatron von Köln und der Hebammen und tröstet auch die Verlassenen. Die alten Griechen hatten die Heuschrecke dem Gott der Künste, Apollo, geweiht, weil sie so schön und laut zirpen kann. Die Heuschrecke ist so gesehen ein interessantes Wesen, welches die Betrachtung aus vielerlei Perspektiven lohnt. Vermutlich verhält es sich mit dem Kapitalisten ähnlich.
Der Mensch-Tier-Vergleich ist also nicht unbedingt als Beschimpfung (zumal dieser Gedanke ja wieder nur aus dem grundlosen hierarchischen Denken kommt), sondern eher als Kompliment anzusehen, weil es den Verglichenen um einige Facetten seines Wesens bereichert.
Den Tieren ist das sowieso egal. Sie kennen keine Geschichte, kein Schuldgefühl, halten keine Vorträge und brauchen erst recht keine Psychoanalyse. Das macht ihre Gesellschaft so angenehm.