: Kleineres Übel
Der SPD steht in Berlin ein Hauen und Stechen bevor: um Listenplätze, nicht um die politische Richtung
Gab der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) am Wahlabend immerhin zu Protokoll, von Bundeskanzler Schröder im Verlauf des Sonntags von den Plänen für vorgezogene Neuwahlen informiert worden zu sein, wär Ähnliches aus Berlin nicht zu vernehmen. So blieb dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit am Sonntagabend nur übrig, zu begrüßen, dass die Entscheidung nun beim Wähler liege.
Man kann es auch so sagen: Die Berliner SPD ist kalt überrascht worden. Zwar wurde für gestern Abend eilig eine Sondersitzung des Geschäftsführenden Landesvorstands einberufen. Doch da, sagte Landessprecher Hannes Höhnemann, würde zunächst nur der weitere Fahrplan geklärt für die Nominierung der Wahlkreiskandidaten.
Und die ist kompliziert in einer Partei, in der alle ihren Anspruch anmelden: Promis wie Wolfgang Thierse und Versorgungsfälle wie Detlef Dzembritzki (ja, der sitzt im Bundestag!), rechte und linke Kreisfürsten, Ost- und West-Verbände, Männer und Frauen, deutsche Sozialdemokraten und solche nichtdeutscher Herkunft. Und dann gilt ja auch: Nicht jeder, der für einen Wahlkreis nominiert wird, wird den auch gewinnen. Ein Hauen und Stechen bei den Platzierungen auf der Landesliste scheint deshalb unvermeidlich.
Ob daraus auch nolens volens der Richtungsstreit wird, den Schröder und Müntefering mit ihrem Coup vermeiden wollen, bleibt offen. Immerhin war es in der Berliner SPD in den vergangenen Wochen erstaunlich ruhig geblieben. Kapitalismuskritik? Fehlanzeige. Dies spricht für den lautlosen, aber effektiven Führungsstil von Fraktions- und Landeschef Michael Müller.
Ein Drahtseilakt wird der Wahlkampf dennoch sein. Zentrales Thema wird, meint Landessprecher Höhnemann, die Agenda 2010 sein. Gleichzeitig deutet aber auch vieles auf einen Richtungswahlkampf zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel hin. Für viele Wähler im Rot-Rot-regierten Berlin dürfte dies der viel zitierten Wahl zwischen kleinerem und größerem Übel gleichkommen. Keine guten Voraussetzungen für eine Mobilisierung für Rot-Grün im Bund. UWE RADA