: Ik wünsch Di Pott, Pott
PLATTDÜTSCH In dem dokumentarischen Heimatfilm mit „Bingo – Toletzt entscheed jümmers dat Glück“ erzählen Margot Neubert-Maric und Gisela Tuchtenhagen mit hochdeutschen Untertiteln von fünf alten Damen vom Lande und ihrem Lieblingslaster
VON WILFRIED HIPPEN
„Ein Dach über dem Kopf, eine warme Stube, was zu essen und zweimal in der Woche zum Bingo fahren.“ So definiert Gisela Thoms aus Högel für sich das Glück. Über die kleinen Fluchten der älteren Damen in der norddeutschen Provinz kann man sich leicht mokieren, aber im Prinzip ist das online Pokern der Generation Laptop kaum etwas anderes. Wenn die Kittelschürze abgebunden wird, fängt das Abenteuer an. Und wenn man dann mit dem Bus nach Dänemark fährt, kann man sogar um Geld spielen. Aber in den holsteinischen Dorfgasthäusern ist es auch schön, wenn Würste, Schinken und Rouladen zu gewinnen sind.
Mit einem guten Auge für die oft skurrilen Details zeigen Margot Neubert-Maric und Gisela Tuchtenhagen diese Subkultur. Es gibt verschiedenen Spielformen, gemütliche und hochmoderne Bingo-Spielhöllen, und jene Momente, in denen die sonst so norddeutsch phlegmatischen Protagonistinnen von der Spielwut gepackt werden.
Doch Margot Neubert-Maric und Gisela Tuchtenhagen sind nicht so sehr am Zahlenglückspiel als einem ethnografischen Phänomen interessiert. Als solches hat es etwa Barbara Dobrick in ihrer Radioreportage „Der alte Mann, die Neunzig – Lotto im Dörplinger Krog“ behandelt, die als eine gute Ergänzung zu „Bingo“ noch für einige Tage in der NDR-Mediathek zu hören ist. Hier ist das Spiel stattdessen eher der gemeinsame Nenner, der es möglich macht, von diesen fünf Landfrauen zu erzählen, die zwischen 1933 und ’45 geboren sind, jetzt als Witwen in Schleswig-Holstein leben und plattdeutsch sprechen. Sie haben ihr Leben lang für wenig Geld hart gearbeitet. Eine musste etwa als junges Mädchen für „15 Mark im Monat“ schuften und als Kost gab es einen Hering, der für zwei Tage reichen musste. Heute leben sie alleine und das regelmäßige Bingospielen ist ein Ritual, bei dem sie in ihrer Gemeinde von Mitspielerinnen (hier zocken nur wenig Männer, denn die hocken lieber vor dem Fernseher und sterben früher) willkommen sind, den Trost des immer verlässlich Gleichen erfahren und auf den großen Gewinn hoffen können.
In keinem Moment kann man die beiden Filmemacherinnen bei einer herablassend-ironisierenden Attitüde erwischen. Sie filmen immer auf Augenhöhe mit ihrer Protagonistinnen und so gelingt es ihnen, bei diesen soviel Vertrauen zu wecken, dass sie sich ganz entspannt erzählen und von der Kamera bei ihren Alltagsbeschäftigungen begleiten lassen. Manchmal fragt Gisela Tuchtenhagen ebenfalls auf Platt ein wenig nach („Bist du eigentlich aufgeklärt worden?“), und so kommt man den Frauen erstaunlich nahe, und erfährt zum Teil Erstaunliches. So war eine von ihnen als Komparsin bei einem Film von Polanski dabei und saß neben Hollywoodstars. Eine andere wurde von der Motorradgang ihres Sohnes besucht und bekochte die Jungs in Lederjacken, die bei ihr lammfromm wurden. Bei jeder Einstellung spürt man den liebevollen Blick und die routinierte Gelassenheit der beiden Hamburger Filmemacherinnen.
Gisela Tuchtenhagen war in den 70er-Jahren eine der ersten deutschen Dokumentarfilmerinnen. Damals wurde ihr von dem „Männerberuf“ abgeraten, denn Kameraleute müssten schon mal „im Freien pinkeln“. Für die Emma schrieb sie dann einen Erfahrungsbericht mit dem schönen Titel: „Am Pinkeln solls nicht scheitern.“ Die inzwischen 68-jährige zweifache Grimmepreisträgerin machte vor sechs Jahren zusammen mit der Editorin und Regisseurin Margot Neubert-Maric die plattdeutsche Dokumentation „Der Wirt, die Kneipe und das Fest“. Auch bei „Bingo“ ist die eine wieder für die Kamera und die andere für die Montage verantwortlich. Offensichtlich eine gute Arbeitsteilung, denn für jene, die die Bilder machen, ist es immer am schwersten, beim Schnitt „die Lieblinge zu töten“.
Seine Premiere feierte „Bingo“ auf dem Hamburger Filmfest, jetzt ist er am Sonntag noch einmal auf der 9. Dokumentarfilmwoche Hamburg zu sehen. Doch viel wichtiger ist, dass er danach dort gezeigt wird, wo er hingehört. In den nächsten Wochen wird er in den örtlichen Kinos von Neumünster, Husum, Eckernförde, Flensburg und Rendsburg aufgeführt werden. Die Regisseurinnen und einige Protagonistinnen werden ihn dabei selber vorstellen. Später ist eine ähnliche Tour durch Bremen und Niedersachsen geplant. Hier klingt das holsteinische Platt schon ein wenig fremd, aber der Film ist ja auf hochdeutsch untertitelt.