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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Angemessene Strafe?

■ betr.: „Darf der Hänsel mit der Gretel?“, taz vom 13. 4. 12

Es mag ja durchaus Gründe geben, es nicht für gut und sinnvoll zu halten, dass Geschwister miteinander eine Partnerschaft eingehen und Kinder bekommen. Doch ob es angemessen ist, jemanden, der es doch tut, drei Jahre in den Knast zu sperren, ist doch sehr die Frage. Das Inzesttabu funktioniert ja insgesamt sehr gut; was soll also das Strafrecht an der Stelle? HARALD ROHDE, Marburg

Etwas mehr Fortschritt

■ betr.: „Darf der Hänsel mit der Gretel?“, taz vom 13. 4. 12

Deniz Yücel hat mein Unbehagen auf den Punkt gebracht: Das Im-eigenen-Saft-Schmoren ist das, was an der „Geschwisterliebe“ so abstoßend ist. Man kann noch weiterdenken: Findet man so keinen Partner oder Betthasen, greift man auf – willige oder beeinflussbare – Geschwister zurück. Sehr praktisch.

Das Argument der Abhängigkeit ist von Christian Rath zu kurz gedacht: Wenn man den „Schwerpunkt“ zum Thema liest, wird offenbar, dass es genau ebendiese Auswahlfrage ist, die hier mit der Abhängigkeitsfrage einhergeht. Gegenseitiger Trost mit Folge von Partnerschaft, den gibt es auch zwischen nicht verwandten Menschen, aber die kommen nicht zusammen, weil sie Bruder und Schwester sind. Dass die junge Frau ihre Mutter verloren hat, erst 16 war und etwas zurückgeblieben ist, erweckt Zweifel daran, dass sie selbstbewusst genug war, außerfamiliär Trost und Kontakt zu suchen.

Es geht aber eigentlich um die Frage der Strafe und den gesellschaftlichen (europaweiten) Konsens. Hier frage ich mich, ob man sich nicht genug Mühe für Transparenz und ein westliches Wertesystem gibt. Mit welcher Argumentation ist Inzest straffrei, mit welcher begründet man drei Jahre Haft? Abschreckung? Maßregelung? Räumliche Trennung? Kann man sich hier nicht auf etwas mehr Fortschritt einigen? REGINE BAYER, Bayreuth

Das geht den Staat nichts an

■ betr.: „Darf der Hänsel mit der Gretel?“, taz vom 13. 4. 12

Ich kann die Argumentation von Deniz Yücel nicht nachvollziehen, dass der Inzest weiter bestraft werden müsse, weil alle Kulturen dies zu allen Zeiten getan hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Alle Kulturen kennen den Inzest von jeher, haben ihn aber unterschiedlich bewertet, teilweise toleriert oder sanktioniert. Selbst wenn alle Kulturen den Inzest unter Strafe gestellt hätten, wäre es ein billiges Argument zu behaupten, weil dies immer schon so gewesen ist, müsse es heute auch so sein. Warum sollten wir das ändern? Weil das Inzestverbot gegen die Menschenwürde verstößt! Es hat den Staat nichts anzugehen, was erwachsene Menschen im Einvernehmen sexuell miteinander treiben. Es werden hierbei keinerlei Rechte anderer verletzt.

Die spannende Frage bleibt, ob sich in einem Land, in dem die konfessionsfreien Menschen bald die Mehrheit bilden, parlamentarische Mehrheiten für die Abschaffung des Inzestverbotes finden lassen. JÖRG HUTTER, Bremen

Anschauungen von gestern

■ betr.: „Darf der Hänsel mit der Gretel?“, taz vom 13. 4. 12

Warum ein Inzestverbot eine Voraussetzung von Gesellschaftlichkeit sein soll, erschließt sich mir nicht. Abgesehen davon sollten wir uns in unseren Entscheidungen nicht auf die moralischen Anschauungen früherer Gesellschaften berufen. Dies wäre das Gegenteil von Kommunikation, Mobilität, Fortschritt. ANTJE WAGNER, München