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: Kritischer Kolumnist bis zum letzten Tag

Ein Sprengstoffanschlag mitten im libanesischen Wahlkampf hat gestern ein prominentes Opfer gefordert: Samir Kassir, Journalist der Tageszeitung An-Nahar. Als er morgens in seinem Auto im vorwiegend christlichen Beiruter Viertel Aschrafia den Zündschlüssel umdrehte, ging unter dem Sitz eine Bombe hoch. Kassir war sofort tot. Zunächst hieß es, eine zweite bei dem Anschlag verletzte Person sei seine Frau, die Fernsehmoderatorin Giselle Khuri. Später stellte sich heraus, dass Khuri sich derzeit nicht im Libanon aufhält. Es wird vermutet, dass das erste Attentat seit dem Abzug der Syrer Mitte April ein gezielter Anschlag auf Kassir war.

Der gebürtige Palästinenser mit libanesischem und französischem Pass hinterlässt zwei Töchter aus erster Ehe. Kassir lehrte auch an der St.-Joseph-Universität in Beirut. Er kritisierte den syrischen Einfluss im Libanon ebenso scharf wie die schiitische Hisbollah. Im taz-Interview nannte er sie einen „Staat im Staate“, „deren Widerstand gegen die israelische Besatzung obsolet geworden ist.“ Aber der 45-Jährige äußerte sich auch kritisch über die Opposition, die sich nach der Ermordung des früheren Premiers Rafiq Hariri formiert hatte. „Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich einen neuen Libanon geben wird. Keiner hat seine konfessionelle Identität wirklich abgelegt, auch wenn sich gerade etwas Neues entwickelt“, erklärte er und kritisierte „einzelne Personen“ in der Opposition – der er selbst angehörte –, denen es nur um ihre Machtposition gehe. Alles, was man heute dazu sagen könne, sei, dass es „einen Libanon ohne Syrien gibt, in dem die Libanesen erstmals ihre eigenen Institutionen testen werden“.

Offenbar ging einigen Kassirs Offenheit zu weit. Seine letzte Kolumne in An-Nahar widmete er einem Angriff auf die Reformunfähigkeit des syrischen Regimes, das im eigenen Land keinen Dissens zulasse. In einer anderen Kolumne hatte er „einen neuen arabischen Nationalismus“ gefordert, der sich darauf konzentrieren solle, „die alten Regime des Terrors und der Staatsstreiche loszuwerden und eine Renaissance einzuleiten, die die Lügen der alten despotischen Regime begräbt“.

Robert Menard von Reporter ohne Grenzen kommentierte den Mord mit den Worten: „Wir haben einen Freund und leidenschaftlichen Verteidiger der Pressefreiheit verloren.“ Die UN-Kommission und die französischen Behörden, die den Mord an Hariri untersuchen, sollten auch diesem Terrorakt ihre Aufmerksamkeit schenken. Bisher hat sich niemand dazu bekannt. Die Liste von Kassirs Feinden dürfte aber ebenso lang sein wie die jener, die er mutig in seine Kritik einschloss. KARIM EL-GAWHARY

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