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Archiv-Artikel

Die sanften Populisten

PIRATEN Die Partei wird nicht gewählt für das, was sie ist, sondern für das, was sie nicht ist: normal. Ein Streifzug durch den Populismus light

Stefan Reinecke 

■ ist Autor der taz. Er wohnt in Berlin und beobachtet die Entwicklung der Parteien in Deutschland, besonders auch die der Linkspartei. Er beschäftigt sich weiter mit Geschichtspolitik.

Die Volksparteien lösen sich auf, die FDP steht vor dem Aus, die Linkspartei im Westen am Abgrund. Krise ist immer und bei Parteien erst recht. Wir haben uns an diesen medial verstärkten Daueralarm gewöhnt. Aber er führt in die Irre.

Marmorne deutsche Stabilität

Das Parteiensystem der Bundesrepublik hat vielmehr eine geradezu marmorne Stabilität, jedenfalls wenn man mal über die Grenzen schaut. In den Niederlanden hat zuletzt nur noch jeder Dritte Christ- und Sozialdemokraten gewählt – von großer Koalition kann man da nicht mehr reden. In Österreich und der Schweiz, in Dänemark und Italien, in Ungarn und Belgien haben sich beängstigend erfolgreiche rechtspopulistische Bewegungen etabliert. Nur in der Bundesrepublik ist das anders. Wir scheinen immun gegen die populistische Versuchung zu sein. Stimmt das wirklich? Und wenn – warum eigentlich?

An einem Mangel an Unbehagen in der Parteiendemokratie liegt es nicht. Die Politikverachtung ist hierzulande nicht geringer als in Brüssel oder Wien. Doch der Verdruss sucht sich andere Ventile. Die Brandmauer gegen den Rechtspopulismus ist erstaunlich haltbar. Hasardeure haben hierzulande kaum Chancen. Das seit 1945 nachwirkende Leidenschaftsverbot in der deutschen Politik zivilisiert. Auch deshalb sind unsere Politiker allesamt eher langweilig, kaum korrupt und gar nicht charismatisch.

In Deutschland scheint sich eine Art Populismus light herauszubilden. Dieser Populismus ist flüchtig, launisch und unzuverlässig. Er ist immer in Bewegung, nie zufrieden, rasch enttäuscht und stets wandelbar, situativ und bindungsschwach. Er ist aber mehr als eine bloße Stimmung. Er folgt einem Muster. Populismus ist dafür höchstens die halbrichtige Beschreibung, aber eine bessere gibt es nicht. So findet man im bundesdeutschen Populismus manche Affekte und Kurzschlüssigkeiten des klassischen Populismus, etwa die Geringschätzung der politische Eliten und des Betriebs. Anderes, vor allem dessen hässliches Gesicht, die Fixierung auf eine Führerfigur und die Verachtung von Minderheiten, ist selten.

Das erste Mal deutlich sichtbar wurde dieses Phänomen 2009 bei der Bundespräsidentenwahl. Damals wurde Joachim Gauck, mit medialer Schützenhilfe, als Kandidat des Volkes inszeniert, als lichte Gegenfigur zum verharschten politischen Apparat. Seine Popularitätswerte schossen in die Höhe. Das war angesichts der sperrigen Art des Rostocker Pastors erstaunlich. Die Sympathien flogen Gauck nicht zu für das, was er war, sondern für das, was er nicht war: Politiker.

Antipolitische Sehnsüchte

Etwas Verwandtes war 2011 zu beobachten, als, ausgelöst durch Fukushima, die Grünen als neue Heilsbringer galten. Sie wurden schon als die neue Volkspartei gefeiert. Für einen Moment schienen die Grünen, die Rebellen von gestern, als Objekt der Sehnsucht nach dem anderen, Authentischen zu taugen. Das war, wie bei Gauck, natürlich ein Irrtum. Aber der Irrtum, in Figuren und Parteien etwas zu vermuten, was dort eigentlich nicht ist, scheint typisch für diesen Populismus light. Er heftet sich politikverdrossen an wechselnde Figuren.

Um als Objekt der populistischen Sehnsucht zu taugen, muss man politisch in der Mitte angesiedelt sein, aber habituell irgendwie anders. Ein bisschen glamourös und autoritär wie Guttenberg, ein bisschen nett-rebellisch wie die Grünen. Die Hinwendung erfolgt ebenso rasch wie die Abwendung.

Der derzeitige Erfolg der Piraten passt genau in dieses Muster. Sie sind nicht links, nicht rechts, sondern dort, wo fast alle sind, in der Mitte – und doch anders. Vergnügt (und mehr und mehr kokett) bekunden die Piraten vor jeder Kamera ihre Ahnungslosigkeit. Wo sonst CDU und SPD dröhnende Abgrenzungsrituale vorführen, erklären sie mit teddybärhafter Nettigkeit, dass sie offen für alles sind. Man mag das Versprechen von Bürgerbeteiligung (immer leicht zu fordern, schwer zu machen) sympathisch finden. Der Grund für den Erfolg der Piraten ist dies nicht. Die Piraten werden nicht gewählt für das, was sie sind, sondern für das, was sie nicht sind: eine typische Partei. Sie sind nicht erfolgreich, obwohl sie über kein in sich schlüssiges Programm verfügen, sondern weil sie keines haben. Die Piraten sind damit die ideale Projektionsfläche für frei umherschweifende antipolitische Sehnsüchte.

Staat ohne politische Träume

Der bundesdeutsche Populismus ist flüchtig und launisch. Er ist nie zufrieden, rasch enttäuscht, situativ und bindungsschwach

Und diese Rolle spielen sie gut. Sie unterlaufen die gestanzten, formelhaften Rituale der Parteien und karikieren die Spielregel, dass Politiker immer zuständig sind, immer alles wissen und können (die freilich wir, das Publikum, einfordern). Damit halten sie dem Betrieb doppelt den Spiegel vor. Denn Politiker, die vor den Finanzmärkten kapitulieren, sind alles andere als allzuständig und -mächtig. Womöglich tun sie gerade deshalb so. Die Unterschiede zwischen SPD und Union sind zudem in Kernfragen, von der Energie- bis zur Außenpolitik, längst abgeschmolzen. Gerade weil im Postideologischen die Differenzen verschwimmen, weil, egal wer regiert, immer die politischen Mitte am Ruder ist, pflegen die Parteipolitiker besonders heftige Abgrenzungsattitüden. Die Verweigerungsgesten der Piraten legen genau diese leer drehende Mechanik des politischen Betriebs bloß.

Die Piraten sind Ausdruck eines Unbehagens in einer Parteiendemokratie, die keine erkennbaren Alternativen mehr hervorbringt. Das liberale System hat kein Außen mehr. „Jeder Staatskörper ohne politische Träume stirbt“, schrieb der Dichter Jean Paul vor 200 Jahren. Und: „Wer nichts will als die Gegenwart, wäre gewiss nicht ihr Schöpfer gewesen.“

Die Piraten sind ein Produkt dieses Ermüdungsbruchs. Ihr Erfolg ist ein Echo der Leere im Inneren der liberalen Demokratie. Ob sie auch über einen eigenen Ton verfügen, ist zweifelhaft. Auch, ob sie den Wankelmut des Populismus light überstehen. Bald werden Ansprüche auf sie zukommen, denen sie nicht gerecht werden können – nämlich „Werdet endlich seriös“ und „Bleibt ganz anders“.

Wenn man sich indes Geert Wilders vor Augen führt, fällt ein mildes Licht auf die Piraten. Glücklich ein Land, das solche Populisten hat.