: „Tiefs schocken mich nicht mehr“
Klaus Wowereit
Seit fast genau vier Jahren ist Klaus Wowereit Regierender Bürgermeister von Berlin. Am 16. Juni 2001 wurde der damalige SPD-Fraktionschef zum Nachfolger von Eberhard Diepgen (CDU) gewählt, zunächst als Chef eines rot-grünen Übergangssenats. Seit Januar 2002 leitet der heute 51-Jährige eine SPD-PDS-Koalition – und wurde prompt als Demokratieverräter beschimpft. Davon spricht schon lange niemand mehr. Im letzten Jahr der laufenden Legislaturperiode könnte Klaus Wowereit aber wieder bundesweit Beachtung finden – als einer von fünf verbliebenen SPD-Regierungschefs nach der Bundestagswahl im September.
INTERVIEW MATTHIAS LOHRE
taz: Herr Wowereit, wo haben Sie denn das Cover des Time Magazine versteckt?
Klaus Wowereit: Das habe ich nicht versteckt, das liegt zu Hause.
Erstaunlich: Da prangt Ihr Bild mitten zwischen denen von vier Bürgermeistern, als Paradebeispiel eines erfolgreichen Metropolen-Chefs. Fühlen Sie sich nicht geschmeichelt, wenn man Sie als „glamour guy“ bezeichnet?
Das ist schön, das ist auch gut für die persönliche Eitelkeit und noch besser für Berlin. Aber dass ich es mir jetzt hier rahme und aufhänge …
… und zu Hause?
Da liegt es, aber es hängt nicht.
Frustriert es Sie, von solchen Höhen wieder in die Ebenen der Kommunalpolitik hinabzusteigen?
Das ist überhaupt kein Problem. Der Time-Titel ist das eine, und die tägliche Arbeit ist das andere.
Das glaube ich Ihnen nicht.
Warum?
Weil Sie nicht gerade dafür bekannt sind, in Diepgen’scher Onkelmanier zu regieren. Sie haben sichtlich Spaß daran, Berlin zu repräsentieren.
Das Aktenstudium wird ja nicht fotografiert. Aber ohne Aktenstudium geht auch das Repräsentieren nicht. Ich bin ziemlich gut informiert über die Dinge, und das ist auch mein Anspruch.
Fühlen Sie sich zu wenig wahrgenommen als „Aktenfresser“?
Nein. Die Mediengesellschaft lebt davon, dass die normalen Tätigkeiten nicht zur Kenntnis genommen werden. Mit einer Diät füllst du tagelang die Schlagzeilen, obwohl man selbst nichts dazu tut. Politische Erklärungen nehmen nur wenige zur Kenntnis. Anschließend wird der Vorwurf gemacht, der äußere sich nicht politisch. Das ist in der Proportion offensichtlich nicht zu verändern. Aber damit findet man sich irgendwann ab.
Aber das ist doch kein Naturgesetz.
Offensichtlich doch.
Eberhard Diepgen hat nicht mit Desirée Nick geknutscht.
Das wollen wir auch hoffen im Interesse von Desirée Nick.
Nach der Bundestagswahl werden Sie noch mehr Beachtung finden – zumindest in der SPD. Als einer von nur fünf SPD-Regierungschefs werden Sie mehr innerparteiliche Macht haben.
Macht würde ich es nicht nennen. Aber natürlich kommt nach den verlorenen Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen auf jeden Ministerpräsidenten jetzt eine größere Verantwortung zu in der Repräsentanz der SPD – nicht nur im eigenen Land, sondern auch auf Bundesebene, weil sich das einfach auf weniger Schultern verteilt. Dieser Herausforderung muss ich mich stellen.
Laut Umfragen ist eine absolute CDU-Mehrheit möglich. Haben Sie Angst vor einer „geistig-moralischen Wende, Teil 2“?
Ich glaube, den meisten Menschen ist noch gar nicht bewusst, wo die gravierenden Unterschiede in den Politikangeboten sind. Neben der wirtschaftspolitischen Frage – Wer schafft mehr Aufschwung und mehr Arbeitsplätze? – gibt es noch eine Reihe anderer Themen. Rot-Grün hat doch vieles angepackt. Immer gegen den Widerstand von CDU/CSU und meist auch gegen den der FDP. Also beispielsweise das Lebenspartnerschaftsgesetz, den Ausstieg aus der Atomenergie aber auch das Nein Deutschlands zum Irakkrieg. Da bietet Schwarz-Gelb selbstverständlich eine reaktionäre, nach rückwärts gewandte Politik.
Auch auf Landesebene gibt es genug Probleme. Beispiel BVG. Da sind Sie noch nicht aus dem Gröbsten raus. Jährlich steuert das Land fast 500 Millionen Euro bei, dennoch wachsen die Schulden auf mehr als eine Milliarde.
Die BVG ist aus meiner Sicht der hartnäckigste Sanierungsfall unter unseren öffentlichen Betrieben. In Wahlkampfzeiten wie diesen mag Ver.di denken, wir seien erpressbar. Wir sind nicht erpressbar. Wenn wir die Erkenntnis haben, wir müssen zur Sanierung der BVG statt 20 Millionen 60 Millionen Euro an Personalkosten sparen, dann dürfen keine Konfliktvermeidungsstrategien gewinnen. Da muss man hart verhandeln.
Und bei der Charité?
Genau dasselbe. Da denken Beschäftigtenvertreter und Mitarbeiter, sie müssten sich nicht bewegen. Aber so geht es nicht. Wenn wir diese Betriebe erhalten wollen, müssen alle ihren Beitrag leisten, so wie in der öffentlichen Verwaltung oder auch bei Vivantes.
Die Sanierung bringt nur etwas, wenn die Berliner Verfassungsklage in Karlsruhe erfolgreich ist. Das soll dem Land bis zu 35 Milliarden Euro an Entschuldungshilfen des Bundes bescheren. Was, wenn daraus nichts wird?
Ich mache mir keine Illusionen, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einfach 35 Milliarden Euro auf den Tisch gepackt werden. Erstens, weil Karlsruhe ja nie ganz konkret urteilt, sondern Grundsätze festsetzt. Zweitens hat sich seit Einreichen der Klage die Lage in der ganzen Republik verändert: Andere Länder und der Bund haben ebenso finanzielle Probleme, und das werden die Richter berücksichtigen. Wir versuchen jedenfalls alles, und wir haben eine gut begründete Klage eingereicht und sie auch in den vergangenen Jahren mit entscheidenden strukturellen Einsparmaßnahmen glaubwürdig unterlegt.
Und die Einnahmenseite?
Im Bundesrat werde ich mich für eine Steuerreform engagieren.
Dort und im Bundestag werden Sie bald nur noch wenige Freunde haben. Das zeigt sich auch beim geplanten Umzug des Bundesnachrichtendienstes von Pullach nach Berlin. Bei einem Wahlsieg will die Union den BND im CSU-regierten Bayern belassen. Und Sie können nichts dagegen tun.
Den Umzug hat Innenminister Schily ja inhaltlich begründet. Selbst bei einem Regierungswechsel im Bund, der natürlich unwahrscheinlich ist …
Natürlich.
… bleibt er sinnvoll. Und natürlich finden wir es gut, wenn durch den BND-Umzug 3.000 Arbeitsplätze in die Stadt kommen. Ich bin da optimistisch.
Im Wahlkampf könnte Ihr Koalitionspartner PDS mit Gregor Gysi auf die Idee kommen, es mit der Koalitionsdisziplin nicht mehr so genau zu nehmen. Die Sozialisten kämpfen um ihr Überleben auf Bundesebene. Haben Sie Angst vorm roten Mann?
Klar muss sich die PDS auf Bundesebene profilieren und versuchen, drei Direktmandate in Berlin zu bekommen. Aber das kann ich tolerieren, solange die PDS das auf der Bundesebene austrägt und sich die Wahlkampfaussagen nicht auf die Tagesarbeit des Senats auswirken. Und schon im September ist der Wahlkampf vorüber.
Warum sträuben Sie sich seit Wochen, ihren alten Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl offiziell erneut auszurufen? Warum das Geeiere um Landeslistenplatz 1 für Wolfgang Thierse?
Die hinter ihrer Frage stehende Unterstellung ist nicht korrekt: Die Vergabe der Listenplätze ist Sache der Partei. Nur weil ich der Partei nicht vorgreife, ist das noch lange kein Misstrauensvotum für Wolfgang Thierse. Auch wenn Journalisten das gern dort hineinlesen. Klar ist: Er wird wieder Direktkandidat in Pankow und bekommt einen Listenplatz an vorderer Stelle.
Im Bund könnte es zu einer Großen Koalition kommen. Was raten Sie Ihren Parteifreunden auf Bundesebene?
Hände weg.
Warum? Sie sind doch ein Experte für Große Koalitionen. Seit 1995 waren Sie Teil des schwarz-roten Bündnisses, ab 1999 sogar als Fraktionschef.
Es war aber eine gegenseitige Blockade. Die CDU unter Diepgen war so rückwärts gewandt, dass es gar nicht voran gehen konnte. Es ist ein Irrglaube, dass eine solche Koalition in der Lage sei, große Probleme zu lösen.
Aus den Trümmern der Großen Koalition sind Sie recht unbeschadet hervorgegangen. Atmen Sie heute manchmal tief durch beim Gedanken: Gut, dass die WählerInnen mir das Reformerimage abgenommen haben?
Natürlich war ich Teil der Großen Koalition. Aber ich habe schon 1995 für die Beendigung des Wahnsinns der Wohnungsbauförderung gekämpft und für die Schließung des Klinikums Benjamin Franklin plädiert. Was habe ich mich damals mit den Theatern angelegt! Damit konnte ich mich nicht in allen Punkten durchsetzen auch nicht in meiner eigenen Partei. Ich habe vor vier Jahren nichts hinter mir gelassen, was ich vorher anders gesehen hätte.
Haben Sie Berlin in den vergangenen vier Jahren toleranter gemacht durch Ihre Politik, aber auch durch Ihr Auftreten?
Schwierige Frage, das müssen andere beurteilen. Natürlich ist es wichtig für ein gesellschaftliches Klima in einer Stadt, wie sich ihr oberster Repräsentant einsetzt für Integration, Gleichstellungsfragen und Internationalität. Ich glaube aber schon, dass ich da als Person aufgrund meiner Vita ein Garant bin für Ausgleich und soziale Gerechtigkeit. Und mit unserer Politik versuchen wir, dass das besser wird. Trotzdem: Es gibt in dieser Stadt noch immer Gewalt und Diskriminierung, etwa gegen Schwule und Lesben. Nur weil da ein Schwuler Regierender Bürgermeister ist, ist Berlin nicht automatisch eine in allen Facetten tolerante Stadt. Fortschritte aber gibt es.
Seit Januar 2002 koalieren Sie mit der PDS. Wie nahe sind Ihnen noch die Rufe, im Bund mit der Ex-SED verrieten sie die Demokratie?
Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie damals Gülle über mich ausgeschüttet wurde. Seitdem können mich Hochs und Tiefs in der Medienberichterstattung nicht mehr schocken. Es war natürlich ein hohes Risiko, die Koalition einzugehen. Damals hätte ich nicht koaliert, wenn ich die handelnden Personen nicht gut gekannt und gewusst hätte: Auf die kann ich mich verlassen. Heute ist die PDS-Beteiligung kein Thema mehr.
Nehmen wir einmal an, die BerlinerInnen wären nicht so störrisch, wie sie sind. Welches Bild sollen die BerlinerInnen von Ihnen in Erinnerung behalten, nach Ihrer Zeit als Regierender Bürgermeister?
So weit sind wir aber noch lange nicht. Aber vielleicht so viel: Ich wünsche mir, dass die BerlinerInnen akzeptieren: Da war jemand, der mit seinen Kräften versucht hat, die Stadt voranzubringen. Der auch als Person versucht hat, Berlin als weltoffene, internationale Stadt zu positionieren. Mit all ihren Facetten und Brüchen.
Das Fazit soll also lauten: Er hat sich bemüht?
Nicht nur „bemüht“. Dann hätte es ja nichts gebracht.