: Nicht nur alte weiße Männer
FRANKREICH In der neuen Regierung geht die Hälfte der Posten an Frauen, dazu gibt’s Grüne, Minderheiten, Nachwuchspolitiker. Außer auf Schlüsselposten
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Frankreichs neue sozialistische Regierung hat keine Zeit, sich auf etwaigen Vorschusslorbeeren ausruhen. Bei der ersten Kabinettssitzung am Donnerstag ging es nicht bloß darum, für das obligate Gruppenfoto zu posieren, auch erste Entscheidungen wurden getroffen. Vor allem wurden den neu Regierenden die „Spielregeln“ nochmals eingeschärft. Die Staatsführung müsse in jeder Hinsicht exemplarisch sein, sagte ihnen Präsident François Hollande. Und Premierminister Jean-Marc Ayrault hat klargemacht: Wer von den Ministern bei den Parlamentswahlen am 10. und 17. Juni kandidiert und durchfällt, müsse aus der Regierung zurücktreten.
Von der gestrigen Premiere der neuen Regierung wird der erste Beschluss in die Geschichte eingehen: Die Gehälter des Präsidenten und aller Regierungsmitglieder werden um 30 Prozent gesenkt. Nach diesem innenpolitischen Auftakt warten ab heute auf Hollande nun mit dem G-8-Gipfel in den USA, dem Nato-Gipfel direkt im Anschluss und einer EU-Sondertagung in der kommenden Woche eine Reihe von internationalen Terminen, bei denen er sich nach dem ersten Rendezvous mit Angela Merkel in Berlin auch seinen anderen zukünftigen Partnern in der Welt vorstellen kann.
Viele neue Gesichter prangten auf den Titelseiten der französischen Zeitungen, die das neue Ministerkabinett vorstellten. Präsident François Hollande hat sein Wahlversprechen gehalten und zusammen mit seinem Premierminister eine Regierung gebildet, in der erstmals mit je 17 Frauen und Männern die Geschlechtergleichheit wirklich respektiert wird und auch zahlreiche junge Nachwuchskräfte und Vertreter der ethnischen Vielfalt der französischen Republik berücksichtigt wurden.
Bloße Alibifiguren wollen diese nicht sein. Vor allem die aus Französisch-Guyana stammende, sehr temperamentvolle Justizministerin Christiane Taubira hat keineswegs die Absicht, nur der formellen Erfüllung von Quoten zu dienen. Sie wird sich für die Unabhängigkeit der Rechtsprechung und für die Respektierung der Minderheiten einsetzen. Sie sei aber nicht „unkontrollierbar, denn sie werde allein von ihrem Gewissen geleitet“, meinte sie. Kommunisten und Linkspartei sind nicht in der Regierung, dagegen zwei Grüne, die sich aber auf anderen Feldern als dem Umweltministerium bewähren müssen: Parteichefin Cécile Duflot als Ministerin für Raumordnung und Wohnungsbau, Pascal Canfin als Staatssekretär für Entwicklungshilfe. Auf Schlüsselposten hat Hollande enge Vertraute berufen. Sein Wahlkampfleiter Pierre Moscovici ist Wirtschafts- und Finanzminister, sein Kommunikationschef Manuel Valls Innenminister. Besondere Beachtung fand die Rückkehr eines „Elefanten“: Das Außenministerium wurde dem früheren Premierminister Laurent Fabius anvertraut, Wortführer der erfolgreichen Nein-Kampagne bei der letzten EU-Volksabstimmung in Frankreich 2005. Er zählt mit 65 Jahren nicht nur zu den „Dienstältesten“ in der relativ jugendlichen Regierung, er verkörpert gleichsam die Kontinuität zur Ära der sozialistischen Präsidentschaft von François Mitterrand. Parteichefin Martine Aubry dagegen schmollt angeblich in Lille. Sie wollte Premierministerin werden und sonst nichts. Jetzt ist sie nichts.
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