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Archiv-Artikel

Im Zeichen des Feldhamsters

Die Umweltbewegung und die Globalisierungskritiker müssen sich zusammenschließen, um für ökologische und soziale Rechte zu kämpfen. Das ist jetzt notwendiger denn je

Alles, was im Natur- und Umweltschutz ökonomisch nicht verwertbar ist, wird zusammengestutzt

Auf die bevorstehenden Neuwahlen haben die globalisierungskritische und die ökologische Bewegung in Deutschland bisher nicht gemeinsam, sondern einzeln reagiert. Attac beschäftigte sich damit, sein Verhältnis zu neuen Linksbündnissen zu klären. Die Umweltbewegung rief reflexiv und defensiv: „Wir wollen trotzdem erneuerbare Energien!“ Es gab keine gemeinsame Analyse oder Äußerungen. Um politisch nicht überrollt zu werden, müssen die Bewegungen jetzt gemeinsam mobilisieren.

Ein nüchterner Blick zurück zeigt: Die zweite rot-grüne Legislaturperiode hat keine entscheidenden ökologischen Fortschritte mehr gebracht. Die Abzocke bei Arbeitslosen, KleinrentnerInnen und Kranken bei gleichzeitigen Steuergeschenken für Konzerne, Vermögende und gut Verdienende hat ein Klima der sozialen Kälte und der wirtschaftlichen Angst geschaffen. Den Armen wurde geschadet; verunsichert wurde aber auch die Mittelklasse, deren progressive Teile man zur Durchsetzung progressiver Politik seit Jahrhunderten braucht. Diese Verunsicherung erleichterte es rechten Ideologen, die Ökologie wieder in die Kuschelecke der Reichen zu drängen – und, leider sehr erfolgreich, zum „Luxusproblem“ zu degradieren.

Die globalisierungskritische Bewegung fand keine sozialökologische Antwort auf Hartz IV, sondern setzte zur Überwindung des demografischen Wandels auf Wirtschaftswachstum. Sie scherte sich nicht viel darum, dass so die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden. Die Umweltbewegung ignorierte Hartz IV weitgehend. Zu oft nahm sie gesellschaftliche Machtverhältnisse nicht wahr und setzte stattdessen darauf, dass „die Vernunft“ doch auf ihrer Seite sei. Die deutsche Umweltbewegung kennt die Begriffe Neoliberalismus und Kapitalismus kaum. Diese Zurückhaltung ist nicht mehr zeitgemäß. Neoliberalismus und Ökologie sind unvereinbar.

Um angesichts des Neoliberalismus Erfolge zu erzielen, müssen die außerparlamentarischen Bewegungen sich ihres gemeinsamen Ziels bewusst sein: Regeln demokratisch festlegen und politisch durchsetzen. Dazu müssen sie heute gemeinsam gesellschaftspolitische Systemfragen stellen. Es darf nicht unwidersprochen bleiben, wenn Müntefering eine Kapitalismusdebatte lostritt, die Sozialdemokraten aber gleichzeitig neoliberalen Umbau betreiben. Diesem Unfug müssen die Bewegungen eine gemeinsame Vision der Globalisierung und Europäisierung sozialer und ökologischer Rechte entgegensetzen.

Auch und gerade bei der Umweltpolitik ist jetzt wieder Offensive angesagt. Denn schon jetzt ist klar: Egal wer im September gewinnt, der umweltpolitische Rückfall wird kommen. Schon die derzeitige Regierung zeigt mit der Rückkehr zur Betonpolitik im Verkehrsbereich und der Abschied vom Kohl’schen Klimaschutzziel, wohin die Reise geht. Äußerungen der Opposition machen klar: Wenn sie siegt, wird der Rückfall noch schneller und schlimmer werden. Verlängerung der Restlaufzeiten der AKWs, Reaktivierung des ungeeigneten „Atomendlagers“ Gorleben, Rückführung der Förderung regenerativer Energien, Offensive bei der Nutzung der Gentechnologie in der Landwirtschaft.

Ab Oktober wird die Natur zum Hartz-IV-Empfänger. Die Umwelt kommt ebenso unter Arbeitszwang wie die Agenda 2010-Opfer. Alles, was im Natur- und Umweltschutz ökonomisch nicht verwertbar ist, wird zusammengestutzt oder abgewickelt. Die Umweltbewegung wird dann auch in Deutschland lernen, was Neoliberalismus wirklich heißt.

Als Reaktion wird es für Umweltorganisationen wichtig sein, in Bündnissen mit Teilen der Wirtschaft bei solchen Umweltproblemen Druck zu machen, die ökonomische Vorteile bringen und Arbeitsplätze schaffen. Das wird aber nicht reichen. Schließlich bringt ökologischer Umbau immer auch Verlierer – nämlich in den schmutzigen Sektoren, ob in Atom- oder Gentechnik. Sie werden nun politisch noch einflussreicher. Wenn Angelika Merkel alle Bremsklötze fürs Wachstum „niederwalzen“ will oder wenn Jürgen Rüttgers gegen Feldhamster polemisiert, zeigt das, wessen Interessen in Zukunft Priorität haben werden.

Gerade der Feldhamster eignet sich gut als Symbol für eine konsequente Ökologiebewegung. Er ist als Gemeinschaftswesen ein äußerst sympathisches Tier, das gemeinsam für die Zukunft vorsorgt. Zudem taucht er netterweise regelmäßig dort auf, wo umweltzerstörerische Großprojekte geplant sind – und konnte sie in einigen Fällen verhindern.

Diese Aktionsform, das direkte Verhindern schädlicher Vorhaben, kann unter einer neuen Regierung eine Renaissance erleben. Wenn angesichts massiver Wirtschaftsinteressen das bessere Argument nicht zählt, können nur geballter Massenprotest und ziviler Ungehorsam helfen. Die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf wurde auch unter Kohl und Strauß verhindert.

Schon bald wird sich zeigen, ob die Bewegungen die Chance nutzen, an diese Erfolge anzuknüpfen: Im November rollt ein Castor-Transport nach Gorleben. Parallel dazu werden Atomindustrie und neue Bundesregierung, so steht zu befürchten, den unerträglich langsamen Atomausstieg aufkündigen. Ein guter Anlass, um auf der Straße deutlich zu machen, dass nach jüngsten Umfragen eine Dreiviertelmehrheit die Atomenergie als zu riskant ablehnt und den Ausbau regenerativer Energien befürwortet. Am 31. Juli organisieren Bürgerinitiativen in solider und friedlicher Handarbeit „freiwillige Feldbefreiungen“, bei denen sich jene 80 Prozent beteiligen können, die gentechnisch veränderte Lebensmittel ablehnt (Info: www.gendreck-weg.de).

Die deutsche Umweltbewegung kennt die Begriffe Neoliberalismus und Kapitalismus kaum

Spektakuläre Aktionen werden für die Umweltbewegung gut sein. Der Widerstand gegen das wahnwitzige Straßenbauprogramm von Thatcher und Major hat die britische Umweltbewegung radikalisiert und neu belebt. So könnte auch der Angriff der Exumweltministerin Merkel die deutsche Umweltbewegung wieder zu einer Bewegung machen, die wirklich kämpft.

Aktionen allein werden jedoch nicht genügen. Gleichzeitig ist ein gesellschaftliches Bündnis notwendig, das alle VerliererInnen des neoliberalen Umbaus zusammenbringt. Dabei werden Gewerkschaften, Entwicklungsorganisationen, Sozialverbände, kritische ChristInnen und eben Umweltorganisationen über manchen Schatten springen müssen.

Es gibt zu einer solchen Sammlung der Kräfte, die keine thatcherisierte Republik wollen, keine Alternative. Wenn die Bewegungen jeweils einzeln ihre eigenen Feldhamster verteidigen, werden sie überrollt werden. Eine gemeinsame Bewegung kann an einen breiten Unmut in der Bevölkerung anknüpfen. Die Aufgabe der Umweltbewegung besteht darin, in die sicher kommenden Bewegungen gegen verschärfte neoliberale Zumutungen die ökologischen Forderungen und Perspektiven einzubringen und selbst kräftig zu mobilisieren. SVEN GIEGOLDDANIEL MITTLER