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Aus taz FUTURZWEI

Lars Weisbrod im Interview Warum bin ich noch auf Twitter?

Der Zeit-Feuilletonredakteur Lars Weisbrod über seine Twitter-Sucht und die Bedeutung dieses Mediums.

Lars Weisbrod twittert Foto: Paula Markert

Lars Weisbrod, 36, Redakteur im Feuilleton der Zeit, twittert viel (das Gesamtwerk umfasst über 25.000 Tweets) und oszilliert dabei zwischen lustigen und spontanen Tweets und Wissenschaftsdiskursen, zum Beispiel über Fiskal- und Geldtheorie. Immer wieder beteiligt er sich an politischen und kulturellen Debatten (zum Beispiel Corona-Politik) beziehungsweise rutscht da rein. Seine Tweets kamen auch schon in Gegenwartsromanen vor, beispielsweise in Mithu Sanyals Identitti (»@LarsWeisbrod twitterte nichts über Saraswati, aber schickte drei Tweets, in denen es irgendwie um Geldtheorie ging, die er kurz darauf wieder löschte.«)

taz FUTURZWEI: Lars Weisbrod, warum sind Sie auf Twitter?

Lars Weisbrod: Die viel drängendere Frage ist: Warum bin ich immer noch auf Twitter? Warum habe mich noch nicht gelöscht? Warum tu ich mir das weiter an? Die einzige Erklärung, die ich bisher gefunden habe: Aus dem gleichen Grund, aus dem so viele Gastronomen Alkoholiker werden. Ein Wirt, der selber säuft, ist oft der bessere Gastgeber. Der hat es dann doppelt schwer, sein Alkoholproblem in den Griff zu kriegen: Er ist erstens alkoholabhängig und zweitens abhängig von seinem Beruf, bei dem ihm der Alkohol hilft. Da fällt es schwer, trocken zu werden. So geht’s mir mit Twitter und Journalismus. Jedes Mal, wenn ich denke »Ach komm, ich lösch' den Scheiß jetzt endlich, dreizehn Jahre Twitter haben mir schon das komplette Gehirn rausgefräst«, fällt mir im nächsten Moment ein: Okay, aber du hast 40.000 Follower, ist doch echt schade, wenn du die Reichweite verlierst, die brauchst du doch bestimmt nochmal beruflich?

Denken Sie oft ans Aufhören?

Jeden Tag. Ich träume sogar davon, irgendwas zu posten, das so schlimm ist, dass Twitter mir wegen Hatespeech endlich meinen Account wegnimmt. Aber ich will natürlich nicht meinen Job verlieren oder dass meine Frau mich verlässt. Deswegen grübele ich dann: Wie könnte ein Tweet aussehen, der dafür sorgt, dass Twitter meinen Account sperrt, der mir aber sonst möglichst wenig Ärger bereitet? Wenn das jemand liest, der bei Twitter arbeitet und Zugriff hat: Wenn Sie meinen Account sperren, lade ich Sie dafür zum Henssler ein! Alles andere habe ich schon probiert: App deinstallieren, Blockier-Programme, ich find immer wieder einen Weg, mich doch einzuloggen. Ich bin wie eine 55-jährige Arzthelferin, die in der Zigarettenpause dauernd erzählt, wie oft sie schon aufgehört hat mit dem Rauchen. Nur eins habe ich mich noch nicht getraut: auf »Account löschen« zu klicken. Davor habe ich Angst, weil ich weiß, dass ich dann sofort in Vergessenheit gerate.

Wer nicht tweetet, ist tot?

Schon wenn ich eine Woche nicht auf Twitter war, haben alle mich vergessen. Es ist ja nicht so, dass andere User sich dann fragen: Was würde Lars dazu sagen? Die wissen nach drei Tagen schon nicht mehr, wer ich bin. Deswegen bleibt man ja dran, weil man weiß, wenn man mal kurz nicht da ist, ist man schon Geschichte.

Wie würden Sie Ihren Account beschreiben?

Das ist der Account eines offensichtlich aufmerksamkeitssüchtigen, verzweifelten Mannes, der sich nicht mehr darauf konzentrieren kann, ein Buch zu Ende zu lesen, und deswegen jedes Mal, wenn er auch nur einen halben Gedanken hat, den schon da reinklatschen und die Leute damit nerven muss. Am schlimmsten ist, dass bei meinen Followern mittlerweile der Eindruck entstanden ist, ich sei so ein Diskurs-Troll oder ein sogenannter Contrarian, der »provozieren« will. Die Leute fragen dann immer: Ist das jetzt ironisch gemeint oder was?

Was ist die Antwort?

Auf gar keinen Fall, das ist alles ernst gemeint! Das merkt nur irgendwie keiner mehr, weil es in meiner Twitter-Bubble nur noch so drei bis vier gängige Meinungen gibt, die alle haben, und wenn einer mal aus Versehen was anderes sagt, muss das wohl ironisch gemeint gewesen sein. Auch so kann man den Diskursraum engstellen! Bitte mich nicht missverstehen, das ist nicht so Sahra-Wagenknecht-mäßig gemeint, ich habe nichts gegen meine Lifestyle-Linken-Follower. Ist doch unironisch schön, wenn Leute im Biomarkt einkaufen und wissen, wie man eine Espressomaschine bedient. Ich habe bloß das Gefühl, dass in meiner Twitter-Ecke ein Extreme Center den Ton angibt: Zentristen bleiben unter sich und wollen in Ruhe ihre innere Ampelkoalition sondieren. Wenn da jemand was reintwittert, was nicht zum Gelb-Grünen-Mindset passt, wird das schnell als »Ironie« wegmoderiert oder gleich als »Verschwörungsmythos«.

Ein Beispiel?

Erklären Sie meinen Followern doch mal, dass zum Beispiel Vermietersein gar kein richtiger Beruf ist und Vermieter nur von der Arbeit anderer Leute leben! Das ist eigentlich eine ganz normale linke Meinung, aber die denken dann, das wäre irgendein lustiger Witz von mir. Dabei es ist einfach nur die Wahrheit!

Wem folgen Sie auf Twitter? Was sind Ihre Lieblingsaccounts?

Ganz wichtig ist, dass jeder weiß: Alles, was an meinem Twitter-Auftritt irgendwie gut oder interessant oder richtig sein könnte, habe ich komplett geklaut. Ich habe mich einfach hemmungslos bedient bei den großen Kult-Accounts, ohne die es diesen ganzen Twitter-Stil, die Sprache, die Lingo heute gar nicht geben würde – das atemlose Tippen ohne Satzzeichen, die Mischung aus Rap und eBay-Kleinanzeigen, das obsessive Grinden entlang eines Nischenthemas. Zentral für mich sind natürlich @DaxWerner und @KurtProedel, viele andere Vorbilder haben inzwischen den Absprung geschafft und sich gelöscht.

Welchen Stellenwert nehmen Ihre Tweets in Ihrem Schaffen ein?

Ich frage mich manchmal: Warum ist Twitter das einzig erfolgreiche, was ich jemals hinbekommen habe? Klar, 40.000 Follower sind nicht viel, dafür stehen echte Influencer morgens nicht mal auf. Aber für mich ist das eine ganz schöne Leistung! Warum also scheitere ich überall sonst, aber bei Twitter funktioniere ich irgendwie? Ich glaube, mein Twitter-Geheimnis ist: In allen anderen Lebensbereichen bin ich zu verschämt und zu stolz, um andere einfach zu beklauen. Ich will immer was »Originelles« machen. Nur bei Twitter hab ich irgendwann mal entschieden: Ich mach einfach alles eins zu eins nach, was die machen, die ich am lustigsten finde. Und zack, hat man wenigstens ein bisschen Erfolg.

Was sagt das über die Gegenwart aus?

Eigentlich ist das ja was Schönes, weil es bedeutet: Wir haben uns noch gar nicht in die Einsamkeit fragmentiert! Popkultur funktioniert noch! Wie früher, als wir alle Indietronic gehört haben und dann nach Köln-Ehrenfeld gezogen sind und uns die gleichen V-Ausschnitt-Shirts bei American Apparel gekauft haben. Es gibt auch heute noch Stile und Codes, bei denen es sich lohnt, sie zu kopieren. Sogar für moppelige Medienmänner Mitte dreißig!

Was passiert, wenn Sie einen Tweet verfassen?

Dass alles geklaut ist, heißt nicht, dass es nicht authentisch wäre. Jeder Tippfehler ist echt. Ich könnte auch gar nicht so viel twittern, wenn mein Workflow nicht wäre: Während ich in den Bus einsteige, tipp ich parallel was über die Causa Sarah-Lee Heinrich in mein Handy. Und beim Aussteigen fällt mir ein: Eigentlich will ich mich an der Diskussion gar nicht beteiligen und dann lösche ich’s wieder. Das ist überhaupt die Frage, die mich am meisten beschäftigt: Wie kann man strategisch schweigen? Am liebsten wäre mir, wie gesagt, dass jemand meinen Account löscht. Solange das nicht passiert, muss ich irgendwie ein moderator sein. Bei Alkohol unterscheidet man auch zwischen Leuten, die ihren Konsum tatsächlich mäßigen können, die moderators, und denen, die nur entweder Säufer oder abstainer sein können. Als moderator muss ich beim Twittern jedes Mal aufs Neue überlegen: Wie kann ich jetzt zu diesem Thema schweigen? Das ist sehr schwer, ich weiß auch nicht, wie das geht.

Abgesehen von dem Wunsch, gesperrt zu werden, was sind Ihre Ziele auf Twitter?

Oberste Priorität ist, irgendwie rauszukommen aus der Nummer. Solange das nicht funktioniert, ist für mich das Allerwichtigste, mich nicht mehr an Kulturkampf-Debatten zu beteiligen und wenigstens nicht mehr zur Gesamtverdummung beizutragen. Und das ist schwer genug. Ich werde immer wieder rückfällig und habe dann einen Komplettabsturz, wo ich drei Nächte durchsaufe, um jetzt mal in der Alkohol-Metapher zu bleiben. Wenn ich mich wieder an irgendeiner Quatschdebatte beteilige und mit einem 15-Follower-Account ohne Profilbild darüber diskutiere, was Meinungsfreiheit bedeutet. Im Nachhinein denke ich dann: Lass es doch einfach, es bringt doch nichts und macht alles nur noch schlimmer.

Wie könnte der dritte Weg zwischen Absturz und Enthaltung konkret aussehen?

Raus aus den politischen Diskussionen, rein in die wissenschaftlichen Debatten, die auf Twitter oft auf sehr hohem Niveau stattfinden, egal ob in der analytischen Philosophie, in der VWL oder anderen Disziplinen. Das sind die wenigen hellen Momente, wo ich auch echt etwas mitnehme. Ansonsten ist mein Vorsatz: Nicht mehr lustig twittern. Ich würde gern mal ausprobieren, wie die Twitter-Experience sich anfühlt, wenn man sich radikal vorschreibt: keine Satire, keine Gags, keine Witze. Twitter ist ein Medium, das an der eigenen Verwitzung und Versatirung erstickt ist. Wenn ich schon bei Twitter bleiben muss, dann ohne jeden Witz.

Interview: MAXIM KELLER

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°19 erschienen.