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Archiv-Artikel

Die ohne Kluft

Keine Uniform, dafür die Auseinandersetzung mit Themen wie Atomenergie, Geschlechterverhältnisse und Bildung: Der Bund Deutscher PfadfinderInnen (BDP) will die „Spurensicherung in der Natur um die politische Kundschaft erweitern“

von Carsten Hansen

Das kleine, reetgedeckte Fachwerkhaus an Schröders Elbpark sieht aus, als gehöre es eigentlich in ein gallisches Dorf. Tatsächlich dient das ehemals vom Gartenbauamt Altona genutzte Häuschen dem Hamburger Landesverband des „Bundes Deutscher PfadfinderInnen“ (BDP) als Treffpunkt für Aktivitäten wie Ausflüge, Lagerfeuer am nahen Elbstrand oder Kindergruppen.

Die typische Pfadfindersymbolik sucht man allerdings vergebens: keine Halstücher, keine Hemden, keine Abzeichen. Stattdessen gemütlich um einen Tisch versammelte Erwachsene, spielende Kinder und ein schwelender Grill. Auf die Pfadfinderkluft, ursprünglich eingeführt, um die Klassenunterschiede in der Gruppe zu überdecken, wird hier verzichtet. „Uniformen erschweren die Auseinandersetzung mit sich selbst“, erläutert die 25-jährige Esther Philipps, ehemals Pfadfinderin und jetzt ehrenamtliche Betreuerin beim BDP.

Auf Zelt und Lagerfeuer wird nicht verzichtet

Traditionelle Pfadfindertechniken wie Zeltbau, Lagerfeuer oder Routenplanung jedoch werden beim BDP vermittelt – nur eben ein wenig anders. Auf dem jährlichen Eltern-Kind-Camp etwa werden die jungen Abenteurer und Abenteurerinnen nicht, wie in anderen Pfadfinderlagern üblich, nach Alter eingestuft in Wölflinge, Jungpfadfinder, Pfadfinder und Rover. Stattdessen können Ältere lernen, Verantwortung für Jüngere zu übernehmen. Dementsprechend wenig hält Christiane Gotzmann, Pädagogin und als Ein-Euro-Jobberin für den BDP tätig, denn auch von Einteilungen in „all diese Wölflinge, Grüppchen und Untergrüppchen“.

Die knapp 50 aktiven Mitglieder der Hamburger Landesgruppe bezeichnen sich selbst als „die ohne Kluft“ und möchten die „Spurensicherung in der Natur um die politische Kundschaft erweitern“. Dem konservativen Flügel des BDP war eine derartige Vernachlässigung traditioneller Gepflogenheiten und der Brückenschlag zwischen Politik und Pädagogik nicht geheuer. Als sich Anfang der 70er Jahre große Teile des Vereins im Zuge der Studentenbewegung politisch positionierten, spalteten sich die Traditionalisten ab und nannten sich fortan „Bund der Pfadfinder“ (BdP). Der bezieht zwar keine politische Position, möchte aber dennoch „das Prinzip Demokratie stärken“ – indem etwa der Hamburger Landesverband des BdP im September ein Seminar zur Bundestagswahl anbietet.

Auf eines aber können sich die Pfadfindergruppen hierzulande einigen: die so genannte „Meißnerformel“ der Freideutschen Jugend, die ein Leben „nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung und in innerer Wahrhaftigkeit“ propagiert.

Beteiligt an deren Formulierung auf dem ersten Freideutschen Jugendtag 1913 war unter anderem die Wandervogel-Bewegung, aus der das deutsche Pfadfindertum hervorging. Mit militärischer Ordnung und bürgerlichem Leben wollte diese nichts zu tun haben. Einfachheit, Natürlichkeit und Gemeinschaft war es, was sich die Knaben und jungen Männer versprachen, wenn sie singend „auf Fahrt“ gingen. Und doch war es ein englischer Offizier, der die deutsche und weltweite Pfadfinderbewegung begründete: Lord Robert-Baden Powell beschrieb 1907 in seinem Buch „Scouting for Boys“ seine Erfahrungen im Überleben in freier Natur mit einfachsten Mitteln und hielt noch im selben Jahr in England das erste Pfadfinderlager ab.

Von zünftiger Lageratmosphäre ist an diesem Freitagabend eher wenig zu spüren. Es ist „Elbsalon“ im Haus des BDP, eine monatlich stattfindende Gesprächsrunde mit Speis und Trank. Mit Blick auf die Elbe plaudern die Versammelten über Problematiken wie Arbeitslosigkeit und die Zukunft der Jugendarbeit. „Der Ein-Euro-Job befreit mich von dem Druck, einen Job zu suchen, wo es keinen gibt“, stellt Christiane Gotzmann ernüchtert fest und moniert, es gebe zu wenig staatliche Förderung für Jugendprojekte.

Die Auswirkungen „fehlender demokratischer Strukturen in vielen Lebensbereichen“ möchten die Kluftlosen mit gemeinschaftlichen und gleichberechtigten Aktivitäten kompensieren. „Was wir versuchen ist, den Kindern Gemeinschaft beizubringen und demokratisches Denken zu vermitteln“, erklärt Gotzmann. Auf dem jährlichen Bundestreffen des BDP etwa erörtern die Jugendlichen gesellschaftsrelevante Themen wie Bildung, Geschlechterverhältnisse oder Atomenergie und stellen die Ergebnisse ihrer Arbeit in Kleingruppen dem versammelten Gremium vor.

Aber wie steht es mit abendlichem Gesang am Lagerfeuer? Das legendäre Liederbuch „Mundorgel“ zwar ist ein Begriff, aber Philipps zuckt entschuldigend mit den Schultern: „Singen ist nicht unsere Stärke.“ Andere BDP-Landesgruppen jedoch pflegen auf regelmäßigen Singtreffen traditionelles wie neues Liedgut. Und Mutproben? Gotzmann winkt ab: „Unsere Mutprobe besteht darin, mit Großstadtkids aufs Land zu fahren.“

Für 2006 ist eine Reise nach Ghana geplant

Ein Schwerpunkt in der Tätigkeit des Hamburger BDP sind internationale Begegnungen mit Pfadfindergruppen aus anderen Ländern. Im kommenden Jahr steht eine Reise nach Ghana auf dem Programm. Die Chancen, dabei auf Gleichgesinnte zu treffen, sind groß: weltweit gibt es etwa 40 Millionen Pfadfinder in 150 Ländern.

Auch Projekte wie der Abenteuerspielplatz in der Eckernförder Straße sind die Früchte der sozialen Arbeit. Doch die Zukunft des eigenen Häuschens am Elbstrand ist ungewiss – die Stadt kündigte an, das Gebäude in naher Zukunft zu verkaufen. Aber Umzüge ist man beim BDP gewohnt. Der Verein hatte seinen Sitz ehedem im Werkhof in Altona. „Aber“, erinnert sich Gotzmann, „denen waren die Kinder zu laut, da mussten wir raus.“