Im Kosmos der Parteiagenten

FEINDAUFKLÄRUNG Alle Parteien haben Gegnerbeobachter. Sie tauchen bei Presseterminen und Kundgebungen auf. Sie filmen und notieren. Sie lauern auf den Fehler der Konkurrenz. Bericht aus einer geschlossenen Welt

Das Ziel: In den Wahlkampfzentralen sind Spezialisten damit beschäftigt, möglichst viel über die Konkurrenz zu erfahren: Initiativen, Widersprüche, Unwahrheiten können entweder an die Medien weiter gespielt oder von den eigenen Kandidaten auf Kundgebungen ausgeschlachtet werden. Mit Polemiken des Gegners kann man eigene Anhänger mobilisieren. Immer bedeutender wird es, schnell zu erfahren, was die Konkurrenz treibt, um in Medien und im Internet reagieren zu können.

Der Job: Die zuständigen Mitarbeiter heißen Gegner-, manchmal auch Feindbeobachter. Auf der Suche nach Angriffsflächen besuchen sie Veranstaltungen des Gegners, sehen sich Interviews an und schauen, was er im Internet treibt. Raffiniertere Beobachter haben Kanäle in Ministerien oder sogar Quellen bei der Konkurrenz, die ihnen parteiinterne Schreiben zukommen lassen.

Das Geheime: Die Parteien reden ungern über die Beobachtung, obwohl sie doch vor allem das Sammeln und Auswerten öffentlich zugänglicher Informationen ist. Niemand soll meinen, dass sie mehr auf Schwächen der Konkurrenz als eigene Stärken setzen.

VON GORDON REPINSKI

Gerade hat sich im Konrad-Adenauer-Haus eine der Türen geöffnet. Der Generalsekretär kommt herein, schneller Schritt, er muss selbstbewusst wirken. Es war kein guter Tag für Ronald Pofalla gestern. Beim TV-Duell konnte Angela Merkel nicht überzeugen, nicht so ganz zumindest. Jetzt ist Pofalla hinterm Pult angekommen, hier in der CDU-Zentrale. Die Kameras sind angeschaltet, das Generalsekretärslächeln ist auch an. Gleich wird er verkünden, dass Merkel die Siegerin des Duells ist.

Neben ihm steht Matthias Barner, der CDU-Sprecher, blondes, dünnes Haar, fester Stand. Routiniert scannt er das Publikum der Pressekonferenz, grüßt die Hauptstadtjournalisten mit einem Blick, einem Nicken. Wer ein Zwinkern abbekommt, ist besonders wichtig. Barner hat Furchen im Gesicht, es muss spät geworden sein gestern nach dem Duell. Nun steht er vor den Journalisten, er kennt sie alle.

Auch den Mann in der letzten Reihe kennt er. Obwohl der nicht zur Presse gehört und zur CDU auch nicht. Er ist der Gegner. Er beobachtet.

Er fällt nicht auf. Jeans, Jackett, Mitte dreißig – so wie viele der Journalisten. Aber sie bleiben auf Abstand zu ihm. Wenn man sie mit ihm sieht, geht ihnen am Ende das enge Verhältnis zu Barner und Pofalla flöten. Der Beobachter versteht ihre Sorge. „Ich unterhalte mich mit den Journalisten hier nicht“, erklärt er später. „das ist nicht gut für sie.“

Am Anfang stand der Beobachter noch etwas verloren am Rand, leicht rechts versetzt hinter den Kameras. Als Pofalla den Raum betreten hat, ist er nach vorne geeilt, um besser zuhören zu können. Er setzt sich in die letzte Stuhlreihe, auf den vierten Sitz von rechts, neben ihm ist der Platz frei. Er zückt sein Notizblock und lauscht. Eine CDU-Postkarte fällt aus dem Block auf den Boden. Devotionalien einsammeln gehört zum Job.

Vorn rühmt Pofalla Merkel: „Sie ist die Siegerin des gestrigen Abends.“ Er spricht durch die Nase, so wie er es immer tut, aber der Gegnerbeobachter sagt, je mehr Pofalla näselt, desto schlechter gehe es der CDU. Die Details interessieren ihn, die kleinen Dinge, die Zwischentöne. Er macht sich eine Notiz. Keine gute Stimmung bei der CDU.

Ein Blick nach oben, zur Galerie, von der CDU-Mitarbeiter zuhören. Aus dem Handgelenk grüßt er nach oben. Von dort grüßt jemand zurück, es ist ein kurzer Moment der Solidarität. Der Mann auf der Galerie macht den gleichen Job, nur für die andere Seite.

Ein wenig heimlich

Der Beobachter grüßt den Beobachter, eigentlich ist die Situation absurd. Aber andererseits auch typisch für diese Rolle. Denn die Gegnerbeobachter tun immer ein wenig heimlich, obwohl sie im Grunde mit Informationen umgehen, die hauptsächlich öffentlich sind. Sie arbeiten in den Wahlkampfzentren, vom Willy-Brandt-Haus der SPD bis zum Karl-Liebknecht-Haus der Linkspartei. Sie suchen nach den Fehlern des Gegners, analysieren seine Auftritte in Zeitungen, im Internet und in Talkshows. Sie besuchen auch die Parteitage der Konkurrenz, ihre Pressekonferenzen oder Kundgebungen. Was wichtig ist, wird herausgeschrieben, weitergegeben, analysiert. Sie schreiben Argumentationen auf, „Argus“ sagen manche dazu: Ein gesprochenes Zitat wird mit eigenen Fakten entkräftet und ein Gegenargument entwickelt. Sind die Argus gut, kommen sie dort an, wo die Kameras laufen. Auf den Sprechzetteln der Politiker für Auftritte in Stadthallen und Fernsehstudios.

Für Veranstaltungen der Konkurrenz akkreditieren sich die Beobachter als Pressevertreter, es wird als selbstverständlicher Teil des Spiels hingenommen, ganz offiziell. Nur die Linkspartei bekommt keine Einladungen von der CDU. Kleine Gemeinheit.

Doch obwohl man sich kennt und alle das System akzeptieren, machen die Parteien ein Geheimnis aus der Gegnerbeobachtung. Die Bürger sollen Politik als Kampf um die Inhalte wahrnehmen. Und nicht als Taktieren.

So werden die Beobachter selten mit ihrem eigentlichen Aufgabenbereich auf der Internetseite der Parteien vorgestellt. Bei der CDU muss ein Name durchgerutscht sein. In einer Broschüre ist er unter „Strategische Planung und Kokurrenzbeobachtung“ aufgeführt. Dr. Sebastian Putz. „Ihre Ansprechpartner im Konrad-Adenauer-Haus“ steht dort, und „wenn Sie konkrete Fragen haben, können Sie sich direkt an uns wenden“.

Am Telefon wirkt Putz verlegen, er beendet das Gespräch schnell. Dreißig Minuten später meldet sich die CDU-Presseabteilung und ein Referent fragt, was man sich dabei denkt, einen Mitarbeiter direkt anzusprechen. Woher man überhaupt die Telefonnummer habe. „Sie möchten einen Bericht über etwas machen, worüber keine Partei redet“, sagt er. „Ab jetzt bitte alles über die Pressestelle.“

Wenn Beobachter erzählen, dann meist anonym. Sie beschreiben ihre Tätigkeit als Wettbewerb, erzählen von ihrem Ehrgeiz, schnell und präzise zu sein und nichts zu übersehen. Eine Arbeit im Kosmos der Parteien, die wochenlang auf das eine Datum hintreibt: 27. September, der Wahltag.

„Man muss schnell gucken, wie man reagieren kann“, sagt eine. „Es ist ein Spiel“, sagt ein anderer. Sehen die Parteien ihre Gegnerbeobachtung als eine Art Geheimdienst? „Der Begriff geht eigentlich ein bisschen zu weit.“ Man beobachte, was bei den anderen geschieht. Was gesagt wird. Was auffällt beim politischen Gegner. „99 Prozent unserer Arbeit ist doch schon öffentlich.“ Der Stoff, mit dem die Gegnerbeobachter arbeiten, ist das Gesagte der anderen Parteien. Dort suchen sie die Lücke, in die ihr Kandidat stoßen kann. Abends verfolgen sie es, wenn die Großen bei Maybrit Illner sitzen oder bei Frank Plasberg stehen. „Wenn ich einen Satz höre, der von mir kommt, dann ist das mein Erfolg“, sagt einer.

Der FDP-Agentenführer

„Durch die Beobachtung wollen die Parteien die Deutungshoheit behalten“

MICHAEL SPRENG, EX-STOIBER-BERATER

Im Thomas-Dehler-Haus, der Parteizentrale der FDP, hat Helmut Metzner sein Büro. Metzner trägt eine kauzige gelbe Fliege und wieselt durchs Zimmer. Er leitet die Abteilung Strategie und Kampagnen bei der FDP, und in der Welt der Nachrichtendienste wäre er vermutlich ein kleiner Agentenführer. Metzner spricht über „Geschärfte Argumentation“, „Umfeldbeobachtung“ und über „FB“, das steht für „Feind- oder Freundbeobachtung“.

Metzner gibt sich offen. Er zückt einen der Aktenordner, die seine Abteilung über die anderen Parteien angelegt hat. Vermerke über Reden, Analysen von Auftritten. Er beschreibt, um was es geht, wird aber nie konkret. Aus der Hand gibt er den Ordner nicht. „Ich will Sie nicht langweilen“, sagt Metzner, „alles nur chronistisch aufgelistet, Sie wissen ja“. Dann ist der Ordner wieder weg.

Er führt in ein anderes Zimmer. Er zeigt auf ein etwa zwei Meter hohes Schaubild, an dem Kärtchen befestigt sind. „Unser Konfliktraster“, erklärt er. Auf der Längs- und Querachse sind die Parteien angebracht. Dazwischen steht zum Beispiel, dass die FDP beim Thema Homoehe Stress mit der Union bekommen kann, beim Thema Kündigungsschutz mit fast allen anderen Parteien und beim Thema Handelskammern sogar innerhalb der eigenen Reihen.

Es gibt tausend mögliche Kombinationen, und wenn man sich anschaut, wie detailverliebt das Schaubild – Metzner sagt: „die synoptische Gegenüberstellung“ – dort zusammengestellt wurde, dann gewinnt man einen Eindruck davon, wie sich die Abteilung Strategie und Kampagnen monatelang mit verschiedenen Konfliktkärtchen beschäftigen kann, bevor alles Guido Westerwelle als knackiges Zitat vorgeschlagen wird.

Wenn es doch langweilig wird, hängt in dem nur 20 Quadratmeter großen Raum noch eine Deutschlandkarte, auf der die eigenen Auftritte im Wahlkampf farbig markiert sind. Die restlichen Wände sind mit Werbemotiven der FDP behängt. Wer aus diesem Raum wieder heraustritt, verlässt eine blau-gelbe Strategiewelt und trifft außerhalb des Thomas-Dehler-Hauses auf die Berliner Reinhardtstraße, nach und nach werden die FDP-Plakate an den Laternenpfählen weniger, und um die Ecke sieht man schon den Bahnhof Friedrichstraße, von wo die Eisenbahnen Menschen in den Wedding oder nach Zossen bringen – in die Realität.

„Die Wahlkämpfe werden immer schneller“, sagt Michael Spreng am Telefon. Spreng ist 61, ein Riese mit tiefer Stimme, er war 2002 Wahlkampfberater von CSU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. Jetzt analysiert er den Wahlkampf in einem Blog. Aus der Zeit mit Stoiber kennt Spreng auch das System der Gegnerbeobachtung. „Kaum steht im Internet eine Schlagzeile, ist sie mehrfach kommentiert“, sagt er, „durch die Beobachtung all dieser Vorgänge versuchen die Parteien, die Deutungshoheit über die Nachrichten zu behalten“. Das ist nicht die einzige Entwicklung, die Spreng registriert hat. „Ein Wahlkampf ist normalerweise eine Mischung aus Reaktion und Aktion“, sagt er, „nur in diesem Jahr fällt die Aktion weg.“

Wie aber verhalten sich die Beobachter, wenn der Gegner keine Angriffsflächen bieten will? Markus Gonschorrek reagiert mit Fleiß. Direkt nach dem Politikstudium hat er vor drei Jahren angefangen, für die Union zu arbeiten, jetzt ist er der Gegnerbeobachter der CDU in Schleswig-Holstein, wo am 27. September auch der Landtag gewählt wird.

Gonschorrek wartet auf dem Kieler Rathausplatz, er trägt ein blaues Lacoste-Hemd. Heute ist ein besonderer Tag für ihn: Um 18 Uhr wird nicht nur der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner auftreten, auch Frank-Walter Steinmeier kommt.

Der CDU-Mann hat sich akribisch vorbereitet. Bereits zwei Stunden vor der Rede hat er den Rathausplatz auskundschaftet, um „mal zu schauen, wie es da so aussieht“. Er hat einen Laptop mit mobilem Internetzugang dabei sowie eine Tasche mit Kameraequipment und Stativ. Eine Kollegin begleitet ihn, um zu filmen. Gonschorrek sucht nach der entscheidenden Aufnahme, nach einem verfänglichen Zitat.

Vor zwei Wochen gelang es den Jungsozialisten in Nordrhein-Westfalen, den CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers bei einer solchen Aussage aufzunehmen. Im Unterschied zu den Arbeitern im Ruhrgebiet kämen „die Rumänen eben nicht morgens um sieben zur ersten Schicht“, sagte Rüttgers. Die Jusos gaben das Material weiter, ein kleiner Film mit der Rede landete auf Youtube, nur Stunden später war die Schlagzeile geboren.

Rüttgers beschimpft Rumänen.

Mittlerweile ist in Nordrhein-Westfalen eine Diskussion über den „Videobeweis“ entbrannt. Nun hat die CDU nachgerüstet. Ein professionelles Videoteam kümmert sich um SPD-Landeschefin Hannelore Kraft. Dabei findet die Wahl in Nordrhein-Westfalen erst im Mai statt.

Je mehr Pofalla näselt, hat ein Gegnerbeobachter festgestellt, desto schlechter geht es der CDU

Filmen, filmen, filmen

In Kiel lauert Markus Gonschorrek mit dem Laptop vor der Bühne und schickt Kurznachrichten über einen SMS-Verteiler, während seine Kollegin filmt und filmt. Gerade macht sich Ralf Stegner über Ministerpräsident Peter Harry Carstensen lustig. Gonschorrek tippt: „Stegner wirft PHC Feigheit und Schwäche vor. Um standfest zu sein, reiche es nicht, Nordfriese zu sein.“

Um 18.55 Uhr setzt er die erste Steinmeier-Nachricht ab. „Steinmeier hält sich im Wesentlichen ans Manuskript.“ Neben ihm läuft die Kamera vor sich hin. Fast zwei Stunden Material werden es am Ende sein. „Tja, ernüchternd“, sagt Gonschorrek, „oft ist nichts dabei.“

Es ist das Schicksal der Gegnerbeobachter, in einem Wahlkampf, der nie so richtig stattgefunden hat und in dem sich keiner aus der Reserve getraut hat.

In Rathenow hat Angela Merkel 19 Tage vor der Wahl einen Auftritt gehabt. Sie hat sich wieder nicht angreifbar gemacht, auch niemanden angegriffen, stattdessen lange darüber gesprochen, wie man Kartoffeln kocht. Quick response ist das Motto der Gegnerbeobachter in den letzten Wochen. Die schnelle Reaktion. Schnell reagieren, wenn der andere einen Fehler macht. Doch was soll man antworten, wenn der Gegner über Kartoffeln redet? Egal, alles wird gefilmt. Vielleicht passiert noch etwas. Noch ein Fehler, wie bei Rüttgers.

„Die Kandidaten wollen sich nicht auf negative Nachrichten einlassen“, sagt Michael Spreng am Telefon. „Wenn etwas passiert, dann ist es richtig wichtig“, sagt Markus Gonschorrek in Kiel. „Wir wollen wissen, was über die FDP gesprochen wird“, sagt Helmut Metzner in seiner Parteizentrale. „Eigentlich“, sagt der Gegnerbeobachter in Berlin, „sind doch in der Politik alle Gegnerbeobachter.“

So ist das in diesem Wahlkampf. Was sollen sie bloß machen, die Gegnerbeobachter? Wenn Merkel, Steinmeier und die anderen auch nichts anderes tun als sie. Wenn sich alle nur beobachten und nichts von sich aus tun. Dann gibt es wenig zu beobachten, dann können sie nur noch warten, so wie die Kanzlerin und der Herausforderer. Bis es ein Ende hat. Bis zum 27. September, dem Wahltag.

Gordon Repinski, 32, beobachtet für das taz-Inlandsressort den Bundestagswahlkampf – ganz ohne Gegner