Sich in Mode tanzen

Fabian Leinweber ist erst achtzehn. Aber seine Erfahrungen reichen für mehr als ein Leben. Ballettschule, Leistungsdruck, gnadenloser Ehrgeiz. Abbruch der Karriere. Und heute? Erfüllt er sich seinen Traum

VON SARAH LEHNERT

Auf der glänzenden Oberfläche seiner 20 Zentimeter hohen Lackleder-Pumps spiegelt sich Fabian Leinwebers Kindergesicht. Während er sie betrachtet, erklärt er, dass er die Modewelt revolutionieren werde, mit den ersten High Heels für den Mann. 150 Euro waren ihm die Schuhe wert. Über zwei Meter misst er mit ihnen. Früher steckten seine Füße in cremeweißen Ballettschuhen.

Fabian Leinweber ist 18 und studiert ab August Modedesign. Das wollte er schon als Kind. Dann kam die Ballettschule dazwischen, und die wollte vor allem eines: Schüler mit Obsession für das Tanzen, die bis an ihre körperlichen Grenzen gehen. Nach dem ersehnten Abschluss wollte er es immer noch, vielleicht sogar mehr als zuvor: Mode machen.

Fabian Leinwebers Geschichte ist die eines auf Ehrgeiz getrimmten Kindes, das sich auch heute, als junger Mann, mit eben diesem Eifer schindet. Diesmal allerdings für seinen Traum.

Er wohnt in einer Altbauwohnung mit Abrissflair auf der Yorkstraße in Berlin-Kreuzberg.

In seinem Zimmer hängen Entwurfsskizzen und Spiegel, und alles ist mit Klamotten übersät. Auf dem Fensterbrett ein armlanges Steinkreuz, auf dem sein Name steht.

Auch er selbst trägt viel Kreuz, als Schmuck: für ihn gleichsam ästhetisch wie bezeichnend. Es ist ein Symbol dessen, was er in seinen Entwürfen verarbeitet: Krankheit, Schmerz und Tod. Seine Mutter starb, als er elf war.

Auch Druck und Drill, Ehrgeiz und Leidenschaft sind Schlagworte, mit denen er sein Leben beschreibt. Als wäre das ein Stichpunktzettel. Aber man glaubt es ihm. Wie er da sitzt, auf dem Küchenstuhl, die dürren Beine übereinandergeschlagen, den Blick konzentriert auf die Wand gerichtet. Ernst. Und ebenso komprimiert und abgrenzbar wie die Schlagworte sind die Etappen seiner Kindheit tatsächlich.

Als ihn seine Mutter mit sechs Jahren zum Tanzen schickte, wollte sie, dass er abnimmt. Und weil er so viel Talent hatte, tanzte er wenig später in einer großen Kinderrevue. Ob er das damals alles wollte, weiß er heut selbst nicht mehr so genau. Das sei ähnlich überraschend gekommen wie die Aufnahmeprüfung an der Ballettschule, sagt er. Mit kindlicher Naivität sei er in die Prüfung gegangen, habe an der Ballettstange getanzt und wenig später wurde das sein Alltag: Neben Deutsch und Mathe. Unterrichtsbeginn 7 Uhr 50. Von der fünften bis zur zehnten Klasse. Die neunte gleich zweimal.

Um im Takt der Eliteschule mitzuhalten, empfand er jedes Abschweifen als schändlich. Durch seinen Kopf staksten dennoch Modefigurinen. Auch durch die Schulhefte. Alles war vollgekritzelt. Zeitgleich mit dem Tanzen hatte ihn damals die Leidenschaft für Mode ergriffen.

In der Schule verbarg er, dass er nebenher zeichnete und nähte und sich lieber mit John Galliano als mit den Vorbildern des Balletts beschäftigte. Die Tanzlehrer, erinnert er sich, hatten ihn ermahnt, die Zeichensachen wegzuräumen, sonst müsse er gehen. Er folgte. Zu Hause übte er weiter wie besessen.

Fabian Leinweber hastet plötzlich in sein Zimmer, mit einer Skizzenmappe in die Küche zurückkehrend. Er breitet die Entwürfe aus seiner Schulzeit vor sich aus. Er erzählt von ihnen, als läge die Zeit endlos weit zurück, dabei sind nur eineinhalb Jahre vergangen; von seinem Abschluss bis heute. Die Zeichnungen zeigen kahl geschorene Frauenschädel mit Pferdeschwänzen und langen Gesichtern. Sie sind düster. Viel Schwarz. Viel Kreuz. Auf der Schule stand er unter ständigem Druck. „Die Ordnung an der Ballettstange ist der Indikator für die Leistung.“ Seine Stimme wirkt plötzlich eine Oktave höher. „In der Mitte stehen die Besten, an der Seite die guten Tänzer und an den Außenseiten die weniger Guten.“

Fabian stand links außen.

Und weil er sah, wie die anderen an ihm vorbeizogen, trainierte er fortan pausenlos. Mit seinem Körper ging er gnadenlos um. Er verlor drastisch an Gewicht. Mit einem Lehrerwechsel in der achten Klasse kam der Erfolg. Fabian glänzte bei einer Übung, durfte in der Mitte tanzen. Er sei gut gewesen, sehr gelenkig, erzählt er, allerdings auch maßlos überdehnt. Er bekam Hüftprobleme. Jede Bewegung ein ungesundes Knirschen.

Die Tanzlehrer stellten ihn wieder nach links außen. „Ich hatte keinen Ansporn mehr. Wenn du immer zu hören bekommst, dass du schlecht bist, fragst du dich, warum du das alles machst.“ Man hat den Eindruck, dass seine Schultern beim Erzählen an Höhe verlieren.

Er wollte das durchziehen, auch wegen der Klasse, die für ihn Familie war; zumindest außerhalb des Ballettraumes, wenn alle den Ellenbogen eingefahren und die Konkurrenzgedanken Pause hatten.

Weil der Spagat zwischen Schule und Tanzen schwer auszuhalten ist, schafften es wenige Schüler seines Jahrgangs in die Abiturstufe. Fabian Leinweber blieb bis zur Mittleren Reife. Mit einem eng geschnürten Päckchen körperlicher und emotionaler Grenzerfahrungen, die locker für drei Leben gereicht hätten, verließ er mit 16 die Schule.

Sein Vater ließ ihn selbst bestimmen, was folgen sollte. Dass dieser bis zuletzt am Talent seines Sohnes für Mode gezweifelt hatte, tat seinem Ehrgeiz keinen Abbruch und ändert nichts an seiner Entscheidung für die Lette-Modeschule in Berlin. 200 Bewerber stürmen jährlich auf 19 Plätze. Fabian Leinweber wird einen besetzen.

Dabei hatte er nach der Ballettschule eine Schneiderlehre angefangen und kurz darauf wieder abgebrochen. Zu technisch die Ausbildung. Diese Entscheidung fiel nicht aus einer Laune heraus. Denn obwohl er fast närrisch von seinem großen Traum erzählt, wirkt er dennoch so reflektiert, so abgeklärt, dass kein Zweifel daran besteht, wie sehr er weiß, was er will, dass er gelernt hat, seinem Willen zu folgen.

Es sei die Chefetage, die ihn reizt, sagt der 18-Jährige. Zufrieden saugt er an seiner Zigarette. „Als Chef hast du die Freiheit, kreativ zu sein.“ Und obwohl er die Härte der Modebranche kennt, fürchtet er sie nicht.

Er könne sowieso nicht abschalten, müsse immer in Bewegung sein, und genau das verlange dieser Beruf. Die Rastlosigkeit habe er von seinem Vater, der sei immer am Arbeiten.

Die Ballettschule gab ihm das dicke Fell, die Ellbogen und die Disziplin. Wie er es schaffen wird, weiß er bereits: Nach dem Lette-Verein folgt Antwerpen, dort gibt es eine der renommiertesten Designschulen weltweit. Anna Sui etwa oder Dries Van Noten haben dort studiert. Heute sind sie fest in der Modewelt verankert. Das schaffen wenige. Vor allem braucht es Ehrgeiz und die richtige Geschichte. „Was ich in meinen Entwürfen verarbeite, habe ich aus dem Leben gelernt. Ich schöpfe aus meinen Erfahrungen. Durch dramatische Erlebnisse wird man mit sich selbst konfrontiert und erfährt sich immer wieder neu.“

Er wirkt wie einer, der es geschafft hat. Nicht weil er bereits ein berühmter Modezar wäre, sondern weil er einen Weg gefunden hat, mit seinen Erlebnissen kreativ umzugehen.