: Jetzt sollen die Reichen zahlen
FRANKREICH Das Defizit bei den Staatseinnahmen sollen nicht mehr die unteren und mittleren Schichten ausgleichen, sagen jetzt die Sozialisten
AUS PARIS RUDOLF BALMER
Die Wähler von Präsident François Hollande dürfen beruhigt sein. So schlimm, wie dies die konservative Opposition prophezeit und wie noch am Montag der Oberste Rechnungshof gewarnt hat, steht es nicht um Frankreich. Das zumindest sagte Premierminister Jean-Marc Ayrault in seiner Regierungserklärung am Mittwoch. Er stellte entschieden in Abrede, dass eine „Wende“ in eine drastische Sparrunde mit einer überstrikten Haushaltsdisziplin anstehe.
Dennoch musste der Ministerrat unter Leitung von Hollande am Mittwoch der verschlechterten Finanzlage Rechnung tragen. Schuld sind natürlich – wie immer in solchen Fällen – die Vorgänger. Da diese das Wirtschaftswachstum für 2012 „in surrealistischer Weise überschätzt“ hätten und diverse bereits beschlossene Maßnahmen überhaupt nicht finanziert seien, fehlen in der Staatskasse für 2012 mehr als 7 Milliarden Euro.
Der haushaltspolitische Kurswechsel wird vor allem durch die schwache Konjunktur dringend. Die Regierung Ayrault geht für 2012 von einem Wachstum von nur mehr 0,3 statt 0,7 und von 1,2 statt zuvor 1,7 Prozent für 2013 aus. Am noch unter Nicolas Sarkozy fixierten Ziel, bis Ende 2012 das Defizit von 5,2 auf 4,5 Prozent zu reduzieren, wird aber festgehalten. Um dem Minus der Einnahmen zu begegnen, greift die neue Führung zu einem in Frankreich bewährten Mittel: Steuererhöhungen in der Höhe von 7,2 Milliarden Euro.
Dabei werde aber genau „das Gegenteil“ von dem gemacht, was die Vorgänger vorhatten, präzisierte Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem. Die Mehrwertsteuererhöhung, die im Oktober in Kraft treten sollte, wird annulliert, weil sie die Kaufkraft der Konsumenten um rund 10 Milliarden schwächen würde. Rückgängig gemacht werden auch andere fiskalpolitische Hinterlassenschaften: Die Erbschaftsteuer, die bisher 95 Prozent der Betroffenen verschont hat, wird auf eine breitere Grundlage gestellt. Die Befreiung der Überstunden von Sozialabgaben, die nach Ansicht linker Experten nichts bringt und viel kostet, wird abgeschafft. Dafür sollen die reichsten Mitbürger und die größeren Unternehmen mehr abliefern. Das entspricht der fiskalischen Gerechtigkeit, welche die Regierung anstrebt und die das Leitmotiv einer umfassenden Steuerreform im Herbst sein soll. Ayrault will den Franzosen die Wahrheit zum Zustand des Haushalts sagen. Er verheimlicht nicht, dass die derzeitige Finanzlage größere Anstrengungen erfordert, aber er verspricht, dieses Mal würden nicht die unteren und mittleren Schichten die Hauptlast tragen.
Die Zeit der großen Opfer kommt ab 2013. Um das Defizit dann auf die von der EU geforderten 3 Prozent zu senken, müssen laut dem Bericht des Rechnungshofs Einsparungen von über 33 Milliarden Euro erfolgen. Dann werden die noch zaghaften Kürzungen bei den Ausgaben und der angekündigte Lohnstopp für die Beamten kaum genügen. Schon prophezeit beispielsweise der bürgerliche Vorsitzende der Finanzkommission im Senat, der Zentrumsdemokrat Jean Arthuis, die Linksregierung werde zuletzt doch nicht an der Mehrwertsteuererhöhung vorbeikommen. Danach aber sei das Potenzial der Abgabenerhöhungen ausgeschöpft. Es bleibt die Möglichkeit, die Zahl der Staatsangestellten und die staatlichen Sozialleistungen infrage zu stellen. Das aber war bisher unter Rechts- wie Linksregierungen in Frankreich ein Tabu.