: Bauplatz für Schwarz-Rot
AUS BERLINULRIKE WINKELMANN
Laut schimpften die Liberalen gestern über Angela Merkels „Regierungsprogramm“. Doch ist es gut möglich, dass die FDP gar nicht in die Verlegenheit kommt, sich in einer schwarz-gelben Koalition zu einer Mehrwertsteuererhöhung zwingen zu lassen.
Gegenwärtig sprechen die Umfragewerte zwar dafür, dass die Bundestagswahlen am 18. September ein Union-plus-FDP-Bündnis ergeben. 48 Prozent der Stimmen bräuchte eine schwarz-gelbe Koalition – gegenwärtig hätte sie 50 Prozent. Die Linkspartei raubt vor allem der SPD Stimmen. Doch vermutlich lässt die Begeisterung für Merkel noch nach. Dann könnte es erstmals seit 1966 zu einer großen Koalition aus Union und SPD im Bund kommen.
Für die Sozialdemokraten wäre eine große Koalition angesichts ihrer grässlichen Umfragewerte schon fast wieder ein Fest. Die Aussagen von Kanzler Gerhard Schröder (der dann ohnehin etwas anderes machen würde) und SPD-Chef Franz Müntefering (dessen Aussichten auf den Vizekanzler-Posten beschränkt sind) bleiben zwar diffus. Doch das sind – ebenso wie das selbstbewusste Nein der Union – Wahlkampfgeräusche.
Ein Vergleich des SPD-„Wahlmanifests“ mit dem Unions-„Regierungsprogramm“ zeigt, dass einer großen Koalition inhaltlich wenig entgegenstünde. Schon Merkels Schwerpunkt, die Anhebung der Mehrwertsteuer zur Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, stößt zwar der FDP auf – nicht aber der SPD. Die denkt stetig darüber nach, wie Steuermittel, namentlich auch die Mehrwertsteuer, zum Abbau der Sozialabgaben eingesetzt werden könnten. Bei der Ökosteuer (für die Rente) und der Tabaksteuer (für die Gesundheit) ging das ja auch. Deshalb gibt es trotz aktueller Abwehrbehauptungen gegen Merkels Plan keine prinzipiellen Vorbehalte bei den regierenden Sozis.
Ein anderer Merkel-Schwerpunkt ist dagegen reichlich weit nach hinten gerutscht und ließe so eine große Koalition möglich werden: die „Kopfpauschale“ oder „Gesundheitsprämie“. Ein Jahr lang schien das Überleben der Union von ihr abzuhängen. Im gestern präsentierten 39-Seiten-Programm hat die Pauschale bloß die halbe Seite 26 bekommen. Ein Termin steht nicht dabei. Merkel nannte zwar „2007 oder 2008“. Doch blieb damit auch offen, wie Pauschale und große Steuerreform verzahnt würden. Ein „Sofort-Muss“ verkauft man anders.
Nun hat die SPD ihre Ablehnung der Kopfpauschale nicht nur deutlich verkündet, sondern sich auch auf die „Bürgerversicherung“ festgelegt. Eine Einigung in einer Koalition könnte deshalb nur lauten, dass Union wie SPD ihre Modelle zurückstellten. Hierzu aber dürften sie gern bereit sein – die Einführung von Kopfpauschale wie Bürgerversicherung wären ungemein verlustreiche Schlachten.
Mit der Streichung der Steuersparmöglichkeiten für Reiche will Merkel sogar mehr Geld hereinholen als die SPD mit der Millionärssteuer. Kein Sozialdemokrat könnte sich dagegen sträuben. Sich zu sträuben, das hat die SPD ohnehin verlernt.