OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Realistische Sozialdramen und sozialistische Lösungsvorschläge für die Misere der „kleinen Leute“: So sah das Programm der Prometheus Film-Verleih und Vertriebs GmbH aus, die 1926 von Willi Münzenberg, dem führenden Propagandisten der KPD, gegründet worden war und Ende der zwanziger Jahre mit „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ und „Kuhle Wampe“ zwei Klassiker des proletarischen Kinos schuf. In „Kuhle Wampe“ kontrastieren Regisseur Slatan Dudow und sein Drehbuchautor Brecht das Schicksal eines jungen Arbeitslosen, der in der großen Weltwirtschaftskrise zermürbt von der ergebnislosen Arbeitsuche aus dem Fenster springt, mit dem letztlich positiven Lebensweg seiner Schwester, die sich sowohl ihrem spießigen Elternhaus als auch ihrem dumpfen Freund entzieht. Stattdessen baut sie mit einer Arbeitskollegin und solidarischen Freunden des Arbeitersportvereins ein neues Leben auf. Das entspricht natürlich dem sozialistischen Gedanken, ist aber vor allem auch deshalb interessant, weil das Bild der selbstbewussten Frau, die ihr Leben in Eigenregie am besten gestalten kann, für die Zeit modern und vergleichsweise kühn wirkt.

Auch „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ spielt 1929 während der Weltwirtschaftskrise: Mutter Krause, die sich als Zeitungsfrau ein paar Groschen verdient, lebt mit ihrem arbeitslosen Sohn Paul und ihrer Tochter Erna im Wedding – und zwar in der Küche ihrer Wohnung, weil das einzige Zimmer an einen Ganoven und Zuhälter vermietet ist. Richtig dramatisch wird die Situation aber erst, als Paul das bei den Abonnenten kassierte Zeitungsgeld in der Kneipe versäuft und Mutter Krause in ihrer Abrechnung zwanzig Mark fehlen. Regisseur Phil Jutzi ließ sich für den Film von den Milieuschilderungen des damals gerade verstorbenen Berliner Zeichners Heinrich Zille inspirieren, fast dokumentarisch wird das Leben in den Hinterhöfen und Weddinger Straßenzügen gezeigt, aus dem sich die Spielhandlung wie zufällig zu entwickeln scheint. Auch hier werden am Ende Sohn und Tochter kontrastiert: Paul wird in einen Einbruch und einen Totschlag verwickelt und von der Polizei abgeholt, Erna, die inzwischen den klassenbewussten Arbeiter Max kennengelernt hat, fasst bei einer Demonstration im Wortsinn in ihrem Leben Tritt und marschiert im Gleichschritt der solidarischen Arbeiterklasse in ein besseres Leben. (Mutter Krausens Fahrt ins Glück, 13. 7., Zeughauskino, Kuhle Wampe, 15. 7., Freiluftkino Friedrichshain)

Im Neorealismus hingegen ging es nicht allein um die realistische Schilderung deprimierender Lebensumstände, sondern um ein ästhetisches Konzept, mit dem man sich von den verlogenen Historiendramen und Salonkomödien absetzen wollte, die das italienische Kino zur Zeit des Faschismus beherrschten. Alltäglichere Geschichten gehörten dazu ebenso wie eine offene Kadrage des Bildes – zu sehen etwa in den Filmen Luchino Viscontis, der diese Strömung mit „Ossessione“ (1943), seiner Version von James M. Cains Krimi „The Postman Always Rings Twice“, mitbegründete. (14.–15. 7., Lichtblick-Kino) LARS PENNING