: Polizei soll deutsche Fußball-WM verfilmen
Wegen des Fahndungserfolgs nach den Londoner Anschlägen fordern Politiker von Union und SPD eine Ausweitung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. FDP und Grüne halten eine Gesetzesänderung dagegen nicht für nötig
FREIBURG taz ■ Die Konferenz der deutschen Datenschutzbeauftragten formulierte im Jahr 2000 ein hehres Ziel. „Alle Menschen haben das Grundrecht, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, ohne dass ihr Verhalten durch Kameras aufgezeichnet wird.“ Die Wirklichkeit sieht anders aus. Vor allem Politiker von CDU/CSU und SPD fordern nach den Anschlägen von London eine Ausweitung der Videoüberwachung.
Der bayerische Innenminister Günther Beckstein ist einer der lautesten Befürworter. „Wir brauchen mehr Videoüberwachung in Angsträumen und an gefährlichen Orten“, sagte der CSU-Politiker der Bild-Zeitung, „und ganz wichtig im nächsten Jahr: Kameras an den Plätzen, wo die WM-Spiele auf Großbildleinwände übertragen werden.“
Scheinbar ausgewogen formulierte es der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Die Videoüberwachung von öffentlichen Straßen und Plätzen solle zwar „lageabhängig“ ausgeweitet werden. „Wir dürfen aber nicht jede Lebensregung der Menschen aufzeichnen“, fügte er hinzu, „dafür gibt es keine Akzeptanz in der Bevölkerung.“
Die kleinen Parteien FDP und Grüne nahmen klar gegen mehr Überwachung Stellung. Für die FDP gelte die Maxime, „so wenig Videoüberwachung wie möglich“, sagte ihr innenpolitischer Sprecher Max Stadler. Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, erinnerte daran, dass selbst der umfassende Einsatz von Videokameras in London „die Terroranschläge tragischerweise nicht verhindern konnte“.
Nach ZDF-Recherchen sind in Deutschland derzeit 94 Kameras im Polizeieinsatz tätig, hinzu kommen 150.000 private Kameras in öffentlich zugänglichen Räumen wie Kaufhäusern, Bahnhöfen und an Geldautomaten. In Großbritannien sind die Dimensionen anders. Hier habe allein die Polizei 40.000 Kameras im Einsatz, so das ZDF, insgesamt seien es rund zwei Millionen.
In Deutschland gilt das Filmen von Menschen durch den Staat als Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieser Eingriff kann aber im öffentlichen Interesse gerechtfertigt sein. So sehen inzwischen alle Landespolizeigesetze eine Rechtsgrundlage für den Einsatz von Videokameras vor. Meist ist dieser Einsatz auf Kriminalitätsschwerpunkte begrenzt. Gemeint sind Orte, so das nordrhein-westfälische Polizeigesetz, an denen „wiederholt Straftaten begangen wurden und deren Beschaffenheit die Begehung von Straftaten begünstigt“.
Wo die Polizei konkret Kameras aufstellt, ist letztlich keine juristische, sondern eine fachliche und politische Entscheidung. Die Polizei ist zum Videoeinsatz nicht verpflichtet und könnte auch ganz auf ihn verzichten. Eine Ausweitung ist allerdings ebenso möglich, und zwar ohne jede Gesetzesänderung. Die Grenze definierte in einer bundesweiten Pilotentscheidung im Juli 2003 der Verwaltungsgerichtshof Mannheim. Demnach wäre eine „flächendeckende“ Videoüberwachung à la London in Deutschland nicht zulässig.
Für private Videokameras gilt eine im Jahr 2001 ins Bundesdatenschutzgesetz eingefügte Regelung. Danach sind sie zulässig, wenn der Zweck – zum Beispiel der Schutz gegen Ladendiebe – die privaten Interessen der Gefilmten überwiegt. Die Überwachung muss aber „erkennbar“ sein. Und die erhobenen Bilder sind „unverzüglich“ zu löschen, „wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind“. Private Videoaufzeichnungen dürfen allerdings durchaus der Polizei zur Verfügung gestellt werden, wenn dies der „Abwehr von Gefahren“ oder der „Verfolgung von Straftaten“ dient.
Die Polizei sieht die Diskussion um mehr Videoüberwachung mit gemischten Gefühlen. „Technik kann keine Menschen ersetzen“, sagte gestern Konrad Freiberg von der Gewerkschaft der Polizei. „Nützlicher als Kameras ist der verstärkte Einsatz von Streifenpolizisten, die im Ernstfall auch sofort eingreifen können.“ CHRISTIAN RATH
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