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Archiv-Artikel

„Bürgergeld“ ohne Arbeitszwang

betr.: „Sehnsucht nach Sicherheit“, taz vom 12. 7. 05

Zunächst ist es nicht ganz so, dass die wirklich Armen durch Hartz IV nichts verlieren. Im Gegensatz zur alten Sozialhilfe gibt es zum Regelsatz nach ALG II keine Sonderzuwendungen für den Erwerb von gebrauchten Bedarfsgütern wie Kühlschränke mehr. Das Geld hierfür soll aus dem Regelsatz angespart werden.

Bei der Betrachtung der deutschen Mittelschichten bedarf es einer Differenzierung. Zumindest subjektiv am härtesten trifft es sowohl beim Verlust des materiellen als auch des symbolischen Kapitals die akademischen Angestellten in der Privatwirtschaft. Der arbeitslose 50-jährige Ingenieur oder die IT-Spezialistin können sich kaum Arbeitsmarktchancen ausrechnen, umso besser aber, dass sie in etwa fünf bis sieben Jahren dank Hartz IV ihre Vermögens- und Altersrücklagen aufgebraucht haben werden. Dabei vergleichen sie sich nicht nur nach „unten“ mit dem langjährigen Sozialhilfeempfänger, sondern eben auch mit den gleichaltrigen Studienkollegen, die den Sprung in den öffentlichen Dienst zum Beispiel als Lehrer geschafft haben. Bei aller Verschlechterung der Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, die es auch hier gab und gibt, ist die Arbeitsplatzsicherheit von Beamten und (abgeschwächt) BAT-Angestellten (noch?) qualitativ besser als von Angestellten in der Privatwirtschaft.

Meiner Ansicht nach liegt einer der tieferen Gründe für den geringen Widerstand der Grünen gegen Hartz IV in der faktischen Nichtbetroffenheit weiter Teile ihrer Funktionäre, Mitglieder und Wähler als Angehörige des öffentlichen Dienstes. Um die angesprochene Bedrohung des Selbstwertgefühls durch Arbeitslosigkeit für alle Menschen etwas zu mildern und die „Sehnsucht nach Sicherheit“ zumindest auf einem bescheidenen Grundniveau zu realisieren, sollten – und dies würde ich gerade von den Grünen erwarten – Überlegungen zu einem voraussetzungslosen „Bürgergeld“, wie sie Wolfgang Engler entwickelt hat, endlich auf die politische Agenda gesetzt werden. BERND SCHWARTZ, Hannover