: „Dinge unterhalb des Radars“
VOODOO Ein Gespräch mit dem Regisseur Oliver Hardt über seinen Film „The United States of Hoodoo“, die afrikanische Stadt New York, einen alten Sklavenfriedhof und Grassroots in New Orleans
■ Freier Regisseur, Autor und Filmemacher. Er lebt in Frankfurt am Main. Zu seinen Arbeiten zählen „Black Deutschland“ (2006) und „Winterspruch – Arbeit für Eisler“ (1999). Studiert hat er Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen; bevor er sich dem Film zuwandte, hat er als Theaterregisseur am Frankfurter Theater am Turm gearbeitet.
INTERVIEW CRISTINA NORD
taz: Herr Hardt, was ist Hoodoo?
Oliver Hardt: Hoodoo ist ein Hybrid, eine Mischung aus afrikanischem Geheimwissen, europäischer Folklore und bestimmten Traditionen der amerikanischen und karibischen Ureinwohner. Entstanden ist es aus dem Unterlaufen von Verboten, Restriktionen und Beschränkungen, die im kolonialen Zusammenhang auferlegt wurden. In diesem Sinne ist Hoodoo auch eine Art spiritueller, kreativer Widerstand.
Wie verhält sich Hoodoo denn zu Voodoo?
Wie ein pragmatischer Cousin. Viel von dem, was Voodoo als Religion ausmacht, fällt weg, wobei es auch im Hoodoo um Beschwörung geht und darum, durch die Kraft des Geistes, die Kraft bestimmter Essenzen oder Talismane die Wahrnehmung der Wirklichkeit zu beeinflussen. Wir verstehen den Begriff aber noch ein wenig anders. Für uns ist Hoodoo so etwas wie eine von Voodoo geprägte Popkultur.
Die Protagonisten in Ihrem Film „The United States of Hoodoo“ kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen – da gibt es den Künstler, die DJs, die Grundschullehrerin, den Produzenten von TV-Serien. Eher spät taucht eine Voodoo-Priesterin auf.
Ja, ein gutes Beispiel ist der Chicagoer Künstler Nick Cave, nicht zu verwechseln mit dem blassen australischen Musiker. Er fertigt diese visuell überbordenden Skulpturen an, die man als Kostüm tragen kann und die sich in Caves Performances noch einmal in etwas ganz anderes verwandeln. Auf der visuellen Ebene haben sie eine große Ähnlichkeit mit Formen westafrikanischer Maskerade, die unmittelbar im Voodoo wurzeln. Das legt einen langen Weg zurück – von Westafrika vor 400 Jahren ins heutige Amerika – und erneuert sich dementsprechend ständig.
Im Mittelpunkt Ihres Films steht der Schriftsteller Darius James. Wie kam es dazu?
Darius James hat zehn Jahre in Berlin gelebt, und dort habe ich ihn kennen gelernt, während der Dreharbeiten zu „Black Deutschland“, meinem vorangegangen Film. Er ist in den 90er Jahren bekannt geworden durch zwei Bücher, „Negrophobia“ und „That’s Blaxploitation: Roots of the Baadasssss ’Tude“, ein großartiges Fanbuch über das schwarze unabhängige Kino der 70er Jahre. Eigentlich wollte er nie in die Vereinigten Staaten zurückkehren, denn er hat es sehr geliebt, in Berlin zu leben. Durch den Tod seines Vaters 2006 war er aber gezwungen, nach New Haven zurückzugehen. Und er hat sich überlegt: Was ist das eigentlich für eine Kultur, in die ich zurückkehre? Was will ich davon? Darin liegt der Beginn dieses Films, der Beginn dieses Projekts. Vor sechs Jahren schickte er mir ein Exposé mit dem Titel „The United States of Hoodoo“, ich hab’ es gelesen und sofort verstanden, worum es ihm geht. Er sagte mir, in Amerika habe keiner das Exposé verstanden.
Interessant, dass Sie das sagen. Bevor ich Ihren Film sah, war nämlich auch mir nicht klar, dass es Hoodoo in den USA gibt, und das, obwohl ich recht viel über afrobrasilianische und afrokaribische Varianten wusste, über Candomblé und Santería. Woran liegt diese Unkenntnis?
Daran, dass diese Dinge unterhalb des Radars laufen. Andererseits ist es für mich nicht so ganz nachvollziehbar, dass man überrascht ist. Denn wenn man sich anguckt, woraus die USA, das Einwandererland par excellence, bestehen und wie sehr Leute aus der Karibik, aus Afrika, aus Südamerika jede größere Stadt in den USA prägen, dann ist es doch rätselhaft: Denkt man, dass diese Leute alles hinter sich lassen? Und nichts von dem, was wir im Film entdecken, ist klandestin. Das beste Beispiel ist der African Burial Ground in Manhattan …
… ein ehemaliger Sklavenfriedhof …
Den findet man nicht im Reiseführer, aber es ist ein riesiges Monument, eine Rotunde mitten im Finanzdistrikt, voller Symbole aus afrikanischen Mythologien. Da gibt es vier, fünf Voodoo-Symbole, und täglich gehen tausende von Leute daran vorbei. Farris Thompson, der große Kunsthistoriker aus Yale, hat mal gesagt, es gebe immer zwei Städte. Wenn man auf New York guckt, dann gibt es die Stadt, die sich einem klar darbietet und die Produkt eines langen Bildschaffens ist. Auf den zweiten Blick wird dann die afrikanische Stadt New York plötzlich sichtbar.
Gibt es in den USA eine Back-to-the-roots-Bewegung? Leute, die in Westafrika nach den Wurzeln von Voodoo suchen? In Nigeria nach dem Yoruba-Erbe?
Das gibt es, ja. Zum Beispiel diese DNA-Geschichte, die Leute wollen wissen, wo sie ursprünglich herkommen. Was ich relativ zweifelhaft finde, aber wenn’s zur Identitätsklärung beiträgt …
Wie geht das?
Soweit ich weiß, kann man aufgrund von DNA-Datenbanken annäherungsweise bestimmen, woher die Urururgroßmutter gekommen ist. Dabei kommt dann raus: ursprünglich Kongo, ursprünglich Nigeria. Aber für den Film ist das nicht wichtig, weil Hoodoo nicht in Afrika beginnt, sondern auf Haiti, in dem Moment, in dem die Leute aus dem Schiff steigen und auf andere Leute treffen. Das haitianische Voodoo ist eine Mischung aus dem, was die Leute mitgebracht haben, und dem, was sie vorgefunden haben, eine Mischung aus afrikanischen, europäischen und amerikanischen Traditionen. Deshalb ist es ja auch so zugänglich – nichts von dem, was wir im Film sehen, ist uns fremd. Wenn wir die Kuratorin Shantrelle Lewis besuchen, zeigt sie uns einen kleinen Altar für ihre Ahnen. Bei meinen Eltern im Wohnzimmer gibt es eine Ecke mit Fotos von meiner Großmutter und meinem Großvater und von deren Eltern. Sallie Ann Glassman, die Voodoo-Priesterin aus New Orleans, sagt, ihrer Meinung nach praktizieren wir alle Voodoo. Wir nennen es nur anders.
Weil alle auf die eine oder andere Weise ihrer Vorfahren gedenken?
Zum Beispiel. Aber was ich eigentlich meine: Diese ganzen Formen, die wir im Film sehen, sind uns nicht fremd, die Musik ist uns vertraut, die visuellen Formen sind uns vertraut. Die Voodoo-Zeichnungen haben eine Nähe zum Graffiti. Ich zeichne immer diese Linie: Erst kommen die Voodoo-Zeichen, dann kommt Basquiat, der ja Haitianer war, und Keith Haring, Graffiti und Break Dance.
In New Orleans haben Sie eine Voodoozeremonie gefilmt. Wie sind Sie denn darauf zugegangen? Wussten Sie vorher, wie sie das filmen wollten?
Harald Schmuck ist ein toller Menschen-Kameramann, er versteht sich ausgezeichnet auf diese Nähe-Distanz-Geschichte, die für so ein Thema sehr wichtig ist. Wann gehe ich mitten rein? Wann halte ich mich zurück? Wann bin ich draußen? Man braucht bei der Begegnung mit vielen Menschen natürlich ein gegenseitiges Vertrauen. Das betrifft das Team, das darf zum Beispiel keine Angst haben, denn das würde man hinterher im Bild sehen. Aber was genau beim Dreh geschieht, lässt sich sehr schwer erklären. Ich versuche, eine bestimmte Form von Intensität herzustellen.
Wie machen Sie das?
Es ist ein Herantasten, auch in der Situation. Die Voraussetzung, so etwas zu drehen, ist eine Form von Extremwachheit. Man muss auf jede mögliche Situation reagieren können, auch wenn man sich vorher etwas anderes überlegt hat. Ich wollte, dass wir mittendrin sind und die Möglichkeit haben, uns zu verlieren. Sich filmisch zu verlieren, heißt auch, dass ich manchmal nicht weiß, wo links und rechts ist und ob ich einen Achssprung habe oder nicht, das ist mir dann völlig egal. Die Kamera ist beweglich, es gibt keine vom Stativ gefilmten Einstellungen, wir arbeiten sehr intensiv mit Ton. Als ich später im Schnitt saß, mit dem Cutter Martin Hoffmann, haben wir nicht versucht, den Ablauf zu rekonstruieren, sondern die Intensität.
■ Val Jeanty hält die Hand vor den Lautsprecher und erklärt dabei das Wesen und die Macht der Frequenz. Auf Haiti, erläutert sie, dürfen bestimmte Trommelrhythmen nur zu bestimmten Zeiten geschlagen werden – donnerstags ab drei Uhr nachts etwa sei ein bestimmter Rhythmus verboten, weil er, wenn er erklänge, etwas Böses heraufbeschwörte. Die Musikerin aus Brooklyn gibt damit ein Motiv vor, auf das man in „The United States of Hoodoo“ immer wieder stößt: Man kann etwas nicht sehen, aber dennoch ist es präsent und wirkmächtig. Der Dokumentarfilm „The United States of Hoodoo“ von Oliver Hardt erforscht, welche Spuren Voodoo im US-amerikanischen Alltag, im Denken von Intellektuellen und in der Arbeit von Künstlern hinterlässt. Sein Guide ist der afroamerikanische Schriftsteller Darius James, der, nachdem er zehn Jahren in Berlin gelebt hat, widerwillig nach New Haven zurückkehrt. Sein Vater ist gestorben, und nun sucht er nicht nur nach dessen spirituell-kulturellem Erbe, sondern auch nach dem, was ihm die US-amerikanische Kultur bedeutet. Gemeinsam reisen Hardt und James von New York über New Orleans nach Oakland und von dort wieder nach Osten, sie sprechen, unter anderem, mit dem Intellektuellen Ishmael Reed, der Voodoo-Priesterin Sallie Ann Glassman und der Kuratorin Shantrelle P. Lewis. Und auf das Zeichen Papa Legbas, einer wichtigen Figur unter den Loas, den Voodoo-Gottheiten, stoßen sie mitten im Finanzdistrikt von Manhattan.
■ „The United States of Hoodoo“. Regie: Oliver Hardt, Dokumentarfilm, Deutschland 2012, 100 Min.
Sie haben vorhin angedeutet, dass Hoodoo etwas Widerständiges hatte, insofern es die Regeln von Sklaverei und Kolonialismus unterwanderte. Ist das Widerständige heute noch von Belang?
Ja, definitiv. Es hat sich ja nicht viel geändert, es gibt in den USA heute keine größere Akzeptanz von diesen spirituellen Formen. Ein Beispiel ist die Geschichte von Sallie Ann Glassman, der Voodoo-Priesterin in New Orleans. Das ist eigentlich Grassroots, Teil eines sozialen Engagements. Sowohl Sallie als auch Reverend Carson sind Figuren, die großen Anteil daran haben, dass in New Orleans nach „Katrina“ überhaupt bestimmte Strukturen wieder existieren. Die Kraft, die Ruhe und das diplomatische Geschick, mit denen Sallie in der Stadt agiert, speisen sich aus ihrem Selbstverständnis als eine in Haiti initiierte, politisch denkende Frau.
Der Begriff des „Healing“, der Heilung, scheint mir eine große Rolle zu spielen.
Im Kontext von New Orleans, ja.
Wegen „Katrina“?
Ja, weil „Katrina“ tatsächlich ein Trauma für die Stadt und ihre Bewohner ist. Doch wenn jemand zu sehr auf den Aspekt des Heilens abhebt, habe ich oft das Gefühl, dass das aus der Defensive heraus geschieht, um dieser christliche Vorstellung von „evil“, vom Bösen, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wer das Heilen betont, der sagt allzu vorauseilend: Das sind konstruktive, nicht destruktive Kräfte. Aber im Voodoo geht es immer um das aktive Ausbalancieren dieser Kräfte.