: „Sieben Jahre musst du tingeln“
JAZZ Am 1. August kommt der New Yorker Musiker Tony Bennett für ein Konzert nach Berlin. Im Interview erzählt der Entertainer alten Schlags von seinem Duett mit Amy Winehouse und seiner Nacktzeichnung von Lady Gaga
■ Mit dem Song „I Left My Heart In San Francisco“ schaffte er 1962 den internationalen Durchbruch und erhielt seine ersten zwei Grammys. Nach Talfahrten in den Siebzigern erlebte der am 2. August 1926 als Anthony Dominick Benedetto in New York geborene Jazzsänger in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Comeback. Bei der Grammy-Verleihung 2001 wurde er mit dem Lifetime Achievement Award ausgezeichnet.
■ Bis heute hat Bennett weltweit über 50 Millionen Platten verkauft. Er ist Gründer der Frank Sinatra School Of Arts in New York City und auch als Maler erfolgreich: Seine Werke sind in diversen Museen in den USA ausgestellt.
INTERVIEW KATJA SCHWEMMERS
Mit seinem „Duets II“-Album brach Jazz-Crooner Tony Bennett vergangenen Herbst alle Rekorde: Er wurde zum einzigen Künstler, der mit 85 Jahren die US-Billboard-Charts anführte. Auch gibt es keinen zweiten, der 1962 und 50 Jahre später erneut den Grammy erhielt. Am 1. August kommt der New Yorker Musiker für ein einziges Deutschland-Konzert in den Berliner Admiralspalast – zwei Tage vor seinem 86. Geburtstag.
taz: Mr Bennett, Sie sind jetzt fast 86 und auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere. Das lässt sich nicht von vielen Künstlern in diesem Alter sagen.
Tony Bennett: Es ist erstaunlich, ich bin selbst überrascht! Mein Arzt sagt, ich bin bei bester Gesundheit. Das Publikum war immer sehr nett zu mir. Und solange beides so ist, werde ich mich nicht zur Ruhe setzen.
Für Ihr aktuelles „Duets II“-Album erhielten Sie ihren 17. Grammy-Preis. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Ich habe mir immer gesagt: Bleib bei Qualität. Es ist nicht populär, was ich mache, auch wenn meine Videos heute wieder auf MTV laufen. Aber das Publikum wertschätzt es, wenn du ihm Qualität lieferst. Und: Ich habe nie auf mein Publikum runtergesehen. Ich schaue zu ihm auf.
Ihre gepflegte Optik gefällt bestimmt den Frauen?
Ich bin wohl so etwas wie der George Clooney meiner Generation! Die Frauen waren sehr gut zu mir. Anzüge zu tragen repräsentiert meine italienische Seite. Meine Mutter lehrte mich, mich immer gut zu kleiden und gepflegt zu sein.
Wie haben Sie sich gefühlt, als klar wurde, dass Ihr Album die letzte Studioaufnahme von Amy Winehouse beinhaltet? Ihr Tod hat die Platte ja auf gewisse Weise überschattet.
Schon. Aber wissen Sie, Amys Mutter vertritt diesbezüglich einen anderen Standpunkt als alle anderen – mich eingeschlossen. Sie sagte zu mir: „Meine Tochter wollte, dass bestimmte Sachen in ihrem Leben passieren. Amy träumte davon, berühmt zu werden. Selbst wenn sie sehr jung gestorben ist, fühle ich mich gut, dass sie das im Leben tat, was sie wirklich tun wollte.“ Dass sie es so sieht, tröstet mich.
Sie selbst wurden kokainabhängig, als Ihre Karriere in den siebziger Jahren nicht mehr so gut lief. Konnten Sie sich mit Amy Winehouse identifizieren?
Ich wusste von ihrem Problem. Als wir das Duett „Body And Soul“ in den Abbey Road Studios aufnahmen, sagte ich ihr, ich würde wiederkommen, und lud sie zu meinem 85. Geburtstag ein. Ich wollte sie bei meiner Show im Londoner Palladium dabeihaben. Noch im Flieger war mir klar, wenn wir das machen, werde ich ihr unter vier Augen sagen: „Hör auf! Halt dich fern von den Drogen! Denn wenn du es nicht tust, wird es dich umbringen! Du bist zu sehr Künstlerin, schmeiß diese Sucht über Bord. Und sei einfach nur glücklich, dass das Publikum liebt, was du tust, und lebe!“ Es war ein Riesenschock, als mein Sohn mich zwei Monate später anrief und sagte, dass Amy gerade gestorben sei. Es brachte mich zum Weinen.
Um mal zu einem glücklicheren Duett Ihrer Platte zu kommen: Lady Gaga klingt bei „This Lady Is A Tramp“ sehr lebendig!
Ja, sie ist fabelhaft. Nicht viele Leute bemerken, dass sie eine wirklich wundervolle Sängerin ist. Und sie ist so wahnsinnig kreativ. Ich nenne sie immer Amerikas Picasso. Weil sie jede Nacht anders ist.
Genau das Gegenteil von Ihnen! Sie blieben Ihrem Stil immer treu.
Nun, Lady Gaga ist einfach sehr anders als irgendein Performer, den ich jemals getroffen habe. Ich habe die Großen kennengelernt, die Durchschnittlichen und die Exzellenten. Da bildet man sich eine Meinung, wenn man etwas sieht. Sie ist sehr intelligent, und mir gefallen ihre Statements über Homosexualität. Sie sagt: „Bitte erinnert euch, dass diese Menschen so geboren wurden – verurteilt Lesben und Schwule nicht dafür!“ Sie erteilt Lektionen. Sie sagt Dinge, die sehr erleuchtend sind für junge Leute.
Was für Botschaften haben Sie im Laufe Ihrer Karriere geteilt?
Ich habe nach Wahrheit und Schönheit gesucht. Und das tue ich heute noch. Es gibt mir ein gutes Gefühl beim Malen oder Singen.
Unter Ihrem bürgerlichen Namen Anthony Benedetto sind Sie als Maler und Zeichner bekannt. Ende letzten Jahres haben Sie Lady Gaga nackt gezeichnet.
Die Idee dazu hatte Annie Leibovitz, die großartige Fotografin. Lady Gaga legte sich nackt auf ein Sofa, während ich sie zeichnete, so wie Gott sie schuf. Ich kann die Leute nicht verstehen, die davon geschockt sind. Schon Leonardo da Vinci und Michelangelo haben Akte gemalt. Das gehört zu den kreativen Sachen, die du als Maler tust. Du siehst das dann nicht als etwas Pornografisches!
Ihre gemalten Werke hängen in diversen amerikanischen Museen. Auf Ihrer Webseite benedettoarts.com sind auch einige Ihrer Selbstporträts in Öl zu bewundern.
Selbstporträts sind die schwierigste Sache überhaupt, die man als Maler tun kann. Um ein mehr oder weniger vollendeter Künstler zu sein, muss ich immer noch viel lernen. Ich habe großartige Vorbilder, die ich studiere, um mich zu verbessern. Den amerikanischen Porträtmaler John Singer Sargent zum Beispiel – sein Level war so hoch!
Ist das Interesse an Kunst etwas, das Sie von Ihrer Familie mitbekommen haben?
Definitiv. Meine Mutter musste zwei Söhne und eine Tochter durchbringen. Während der Depression in Amerika waren wir sehr arm. Mein Vater starb, als ich sehr jung war. Sie musste uns drei also allein aufziehen. Sie arbeitete hart, um das Essen für uns auf den Tisch zu bringen. Aber sie fütterte uns auch mit so viel Fantasie und erweckte in uns das Interesse an Literatur und Kultur.
Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Sie in der US-Armee als Soldat an der Front in Deutschland eingesetzt. Sie sollen 1945 mehrmals nur knapp dem Tod entkommen sein. Hat Sie das verändert?
Für mich ist Krieg die niedrigste Form des menschlichen Miteinanders. Ihn erlebt zu haben machte aus mir einen Pazifisten. Ich werde nie die Traurigkeit in den Gesichtern der deutschen Soldaten vergessen, die auf Pferden zu ihrem Zuhause zurückkehrten – und alles war zerbombt. Es war der Wahnsinn. Aber eine gute Sache hatte es …
Nämlich?
Bis zur Rückkehr in die USA 1946 gab man mir einen Job bei einem großen Orchester, das die stationierten US-Soldaten unterhalten sollte. Ich war verantwortlich dafür, den Musikern ihre Noten auszuhändigen. Ich liebte das! Soldaten durften später als Wiedergutmachung jede Schule in Amerika besuchen. Also ging ich auf die kulturell ambitionierte American Theatre Wing in New York City. Ich hatte gute Lehrer dort, die mir beibrachten, nie Kompromisse zu machen. Als ich auf die reale Welt losgelassen wurde, war es dann natürlich ganz anders: Alles musste schnell gehen, das machte es manchmal schwierig.
Kann man die Musikszene heute mit der in den Sechzigern vergleichen?
Damals war alles gut und gesund. Es war keine alte Ära, es war die richtige! Wenn du einen Song gut gesungen hast, wurde es dein Lied! Judy Garland mit „Somewhere Over The Rainbow“ oder Frank Sinatra mit „In The Wee Small Hours In The Morning“ – diese Künstler besitzen den Song. Niemand macht es besser. Zu meinem Aushängeschild wurde „I Left My Heart In San Francisco“. Heutzutage ist hingegen alles austauschbar. Es wird sich nicht mehr daran erinnert.
Woran liegt das?
Wir hatten bessere Komponisten, bessere Performer. Die älteren Interpreten sagten mir damals: „Du bist gut, aber es wird noch sieben Jahre dauern, bevor du das Publikum verstehen wirst.“ Und sie hatten recht! Es brauchte sieben Jahre des Herumtingelns, um von den Zuschauern zu lernen, was sie mögen und was nicht. Das Publikum lehrt dich, wie du auftreten musst.
Wann waren Sie am glücklichsten in Ihrem Leben?
Das ist jetzt, mit 85. Ich fühle mich gesegnet. Alle sagen mir, ich klang nie besser. Ich kenne keinen anderen Sänger, der das so durchzieht. So etwas kann man nicht planen. Ich habe eine wundervolle Frau, die sehr gut zu mir ist. Es ist wirklich die beste Zeit meines Lebens!
■ Konzert: 1. 8., 20 Uhr, Admiralspalast, Tickets 56 bis 102 Euro