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Archiv-Artikel

Zehn Jahre und immer noch nichts gelernt

NATURGEWALT Umweltschützer kritisieren mangelnden Hochwasserschutz an Elbe und Donau. Bei Pegeln wie 2002 seien erneut Milliardenschäden zu erwarten

DRESDEN taz | „Die Bilanz ist aus unserer Sicht ernüchternd“, sagt Hubert Weiger, Vorsitzender des Umweltverbandes BUND, am Dienstag zu den Konsequenzen aus der Hochwasserkatastrophe von 2002. Man erkenne zwar die Bemühungen um den technischen Hochwasserschutz vor allem in bebauten Gebieten an, die etwa ein Fünftel der Flusskilometer ausmachen. Der damals auch in einem 5-Punkte-Plan der Bundesregierung geforderte vorbeugende ökologische Schutz sei jedoch kaum umgesetzt. Weiger nannte beispielhaft die Waldvermehrung im Gebirge, Überflutungsmöglichkeiten bereits an den Oberläufen und einen Baustopp in Talauen.

Starkniederschläge einer Vb-Wetterlage hatten am 12. August 2002 im Erzgebirge und in der Folge auch an der Elbe Schäden von etwa 12 Milliarden Euro verursacht. Gebirgsflüsse schwollen bis auf das Hundertfache ihrer normalen Wassermenge an. In der „Jahrtausendflut“ kamen in Sachsen 21 und in Tschechien 17 Menschen um.

Mit den seither eingeleiteten Maßnahmen hatte Sachsens Umweltminister Frank Kupfer sich erst im Juli zufrieden gezeigt. Planerische Vorsorge in der Fläche, Wasserrückhalt und technischer Hochwasserschutz seien verbessert worden. Allein die öffentliche Hand zahlte in Sachsen für die Schadensbeseitigung entlang der Flussläufe bislang 900 Millionen Euro und weitere 530 Millionen für die komplexen Schutzmaßnahmen. Bis 2020 soll diese Summe auf 1 Milliarde Euro anwachsen.

„Die Prioritäten sind falsch gesetzt“, kritisierte Weiger. Es gelte, „Hochwasser durch Breitwasser zu vermeiden“, also wieder natürliche Ausbreitungsflächen zu schaffen. Winfried Lücking, Flussexperte der Umweltorganisation, erinnerte an den 2003 gefassten Plan der Internationalen Konferenz zum Schutz der Elbe. Von 33 dort angeführten Deichrückverlegungen seien nur fünf realisiert worden.

„Die bisherigen Maßnahmen könnten Wassermassen wie 2002 nicht kompensieren“, sagte Lücking. Sachsens BUND-Präsident Wolfgang Riether präsentierte Beispiele von wiederbebauten Überflutungsgebieten wie in Aue oder die kuriose Flutschutzmauer in Rochlitz, die ein Abfließen von Hangwasser in die Mulde verhinderte und in der Stadt zu Überschwemmungen führte. Die Experten räumen aber auch ein, dass ein solches, statistisch nur alle 200 bis 300 Jahre zu erwartendes Hochwasser nicht einzudämmen sei.

Der Umweltsoziologe Christian Kuhlicke vom Umweltforschungszentrum Leipzig weist darauf hin, dass der Freistaat Sachsen immer mehr Vorsorgeverantwortung an die Bürger delegiert. In der Bevölkerung hatte das nach dem Neiße-Hochwasser von 2010 schon Unmut erregt, weil Versicherungen Vertragsabschlüsse verweigern.

MICHAEL BARTSCH