: Beirut druckt, Bagdad liest
SÜDPOST Schriftsteller Najem Wali schreibt künftig einmal im Monat werktags eine Kolumne für die taz. Hier zum Auftakt, warum sie „Südpost“ heißt
NAJEM WALI
VON NAJEM WALI
Zum ersten Mal hörte ich von „Südpost“, als ich 17 Jahre alt war, im Jahre 1973 etwa. In dieser Zeit gehörte ich zu einer kleinen Gruppe von jungen Intellektuellen. Wir lebten in Amara, einer kleinen Stadt im Südosten des Irak und waren in den Augen der Leute „Desperados“, „herrenlose“ oder „morallose Existenzialisten“. Abgesehen von unserem auffallenden Aussehen – wir trugen die unten weiten Jeanshosen, hatten lange Haare –, liefen wir immer mit Büchern in der Hand oder unter dem Arm durch die Straßen. Natürlich mit dem Titel des Buches nach außen, zur Schau gestellt für jedermann.
So kam es übrigens auch zu meiner ersten Verhaftung. Ich trug Friedrich Engels’ ins Arabische übersetzte Buch „Der deutsche Bauernkrieg“ mit mir herum. Allein schon Engels’ Bürstenbart war eine Attraktion. Das Dumme war, dass dieses Buch wie andere kommunistische Bücher auf dem Index stand. Aber was scherten uns Verbote. Wir wollten provozieren. Und dabei waren wir ehrlich, aufrichtig und konsequent.
Unser Taschengeld reichte oft nicht aus, um ein Buch zu kaufen, dennoch taten wir alles, um an Bücher zu kommen. Die klassische Literatur fanden wir in der Stadtbücherei. Den Rest, insbesondere neu übersetzte Bücher, mussten wir kaufen. Anfang der sechziger Jahre hatte sich in der libanesischen Hauptstadt Beirut, die als Zentrum des Verlagswesens für die arabische Welt gilt, eine große Welle von neu erscheinenden Übersetzungen der Weltliteratur durchgesetzt. Allen voran natürlich aus der französischen Literatur.
Der Libanon war in der Vergangenheit eine Kolonie Frankreichs. Aber für uns war es nicht wichtig, aus welcher Nation die Bücher kamen. Wir waren Bücherwürmer, gierig nach allem Neuen. Man sagte damals „Beirut druckt, Bagdad liest.“ Und wir lasen. Natürlich hatten wir in jeder Nation unsere literarischen Idole. Wir lasen die deutschsprachigen Rilke, Kafka, Hesse, die Brüder Mann, Erich Maria Remarque, Brecht, die Amerikaner Edgar Alan Poe, Faulkner, Steinbeck, Hemingway, Fitzgerald und die Franzosen Sartre, Camus, Malraux, Gide, de Beauvoir und natürlich Saint-Exupéry.
Ich erinnere mich genau an den Moment, in dem ich den letzten Satz von „Der kleine Prinz“ gelesen habe. Ich war im Bus auf dem Weg aus Bagdad zu meinen Eltern nach Amara. Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, drückte ich es an meine Brust und lehnte meinen Kopf ans Fenster. Ich schaute in die Sonne, die wie eine brennende Orange aussah und anfing, sich hinter dem Horizont zu verabschieden. Es dauerte nicht lange, bis ich meine Tränen auf der Wange spürte. Ich wollte mich niemals von ihm verabschieden.
Seitdem ließen mich Saint-Exupérys Werke nicht mehr los. Daher fiel mir auch sofort „Südpost“ ein, als ich nach einem Titel für diese Kolumne suchte, einer seiner schönen Romane, wie „Der kleine Prinz“, „Nachtflug“ oder „Die Stadt in der Wüste“. Seine Piloten sind immer unterwegs zu den Menschen, scheinen aber gleichzeitig von einem anderen Planeten zu kommen, um uns ihre Weisheiten mit der Post zu bringen. Saint-Exupéry hat aus dem Fliegen poetische Dichtung erschaffen. Daher wollte ich seinen „Courrier Sud“ unbedingt neu lesen, dessen Titel mit „Südkurier“ ins Deutsche übersetzt worden ist.
Im Duden lese ich dazu: „Kurier, der – Substantiv, mask.; a) jemand, der im Dienst eines Staates, beim Militär o. Ä. vertrauliche Nachrichten o. Ä. überbringt. b) Bote.“ Im Französischen heißt „Courrier“, „Post“, „Briefpost“ oder auch „Postsendung“. Aber nicht wie im Deutschen „Kurier“. Daher scheint mir, dass die Übersetzung in ihrer Interpretation nicht auf Augenhöhe mit der Originaldichtung steht, dass sie das Poetische ins Triviale stürzt.
Zu meinem Erstaunen brachte mir die erneute Lektüre Saint-Exupérys noch ganz andere Entdeckungen. Denn in dem vom Fischer Verlag veröffentlichten Taschenbuch sind unter anderem Berichte aus dem Archiv der Air France von Oktober 1928. Und da ist ein anderer Saint-Exupéry zu lesen. Nichts Poetisches. Hier hört seine Dichtung auf und ein mir bislang unbekannter Saint-Exupéry tritt hervor. Saint-Exupéry, ein Rassist, der keinen Hehl daraus macht, wie „nutzlos“ es ist, den Mauren „vorübergehend zum Verständnis eines beliebigen Gesichtspunkts zu bewegen“, da „sie einen falschen, räuberischen und beständigen Charakter haben“ und zum Vorgehen gegen sie nutze nur „ihre Überwachung mit Flugzeugen“, „durch Kamelreiter“ und „wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen“.
Er geht sogar mit Spanien ins Gericht, das damals für eine friedliche Politik gegenüber den Mauren in Rio de Oro (West-Sahara) plädierte. Er versteht nicht, warum Spanien „als Nachbar leben möchte und nicht als Herr auftreten“, denn „ein Clan, der in Mauretanien unterworfen und friedlich ist, kann in Rio de Oro fanatisch und kriegerisch werden, wenn er dort an Beutezügen interessiert ist“. Von dem Interesse der Kolonialmacht Frankreich an ihren Beutezügen ist bei ihm hingegen keine Rede, als ob Frankreichs Präsenz dort und anderswo in Afrika selbstverständlich sei.
Diese Kolumne hat die Absicht, künftig neue Post, Messages, aus dem Süden zu bringen. Wie Sie sehen, verehrte Leserinnen und Leser, die erste Message habe ich selbst, anders als gedacht, neu schreiben müssen. Ich musste mein Idol Saint-Exupéry neu bewerten. Nobody is perfect.
■ Najem Wali, irakischer Schriftsteller, lebt in Berlin. Bei Hanser erschien 2011 sein epochaler postkolonialer Roman „Engel des Südens“. „Südpost“ erscheint jeweils am ersten Donnerstag eines Monats