: Auf die Berge hören
AFGHANISTAN Im achten Kriegsjahr liegt endlich auch in deutschen Buchhandlungen Literatur aus und über Afghanistan. Eine Auswahl
VON ULRIKE WINKELMANN
Fast acht Jahre lang ist die Bundeswehr jetzt in Afghanistan. Mehrere zehntausend deutsche Soldatinnen und Soldaten waren inzwischen dort. Viele hunderte Mitarbeiter von Hilfsorganisationen kommen hinzu, und einige hundert Journalisten und Politiker, die sich – wenn auch nur für ein paar Tage – mit den dröhnenden Transall-Maschinen der Bundeswehr von Kabul in den deutschen Verantwortungsbereich nach Masar-i-Scharif und Kundus fliegen lassen haben.
Niemand von all diesen Menschen bleibt unberührt von dem furchtbaren Gegensatz in Afghanistan zwischen gutem Wollen und erbärmlicher, gewalttätiger Realität. Die meisten von ihnen greifen zu jeder Magazinreportage, um ihre Eindrücke mit denen des Autors zu vergleichen. Und endlich schwillt auch die deutsche und ins Deutsche übersetzte Literatur über das Land an, das besser zu verstehen die Republik sich vornehmen sollte.
Die Berliner Journalistin Kerstin Tomiak ging nach Kundus ins deutsche Lager, um dort Öffentlichkeitsarbeit für die Bundeswehr bei den AfghanInnen zu machen. In „Drachenwind. Mein Jahr in Afghanistan“ berichtet sie davon, wie sie in ihren ganz persönlichen Afghanistan-Einsatz hineinstolpert und sich ihre linksliberalen, westlich-städtischen Vorstellungen durcheinanderbringen lässt. Unter den Burkas stecken viele verblüffend durchsetzungsstarke Frauen, hinter manch hoher Mauer werden Mädchen nicht nur weggesperrt, sondern spielen ungestört Volleyball.
Veränderte Situation
Vieles kommt in Tomiaks Buch, wie es sach- und romanlogisch kommen muss. Natürlich verliebt sie sich in einen Soldaten. Niemand muss sie überreden, den Bundeswehreinsatz zu verteidigen. Das Kapitel über die Verarztung afghanischer Brandopfer ist herzerweichend.
Doch umgekehrt verrät ihre vehemente Befürwortung der zivilen Leistungen, die die Bundeswehr in der Tat jahrelang erbracht hat, auch genau, was sich seit Tomiaks Einsatz 2006/2007 und heute verändert hat: Die zivilmilitärische Zusammenarbeit findet angesichts der Eskalation der Lage im Norden faktisch nicht mehr statt. Wen oder was die Bundeswehr in Afghanistan jetzt noch schützt außer sich selbst, ist mindestens offen.
Als „ausländische Einmischung“ verbucht und verdammt Malalai Joya den Isaf-Einsatz seit jeher. Vehementer als die Nato kritisiert sie die Warlords, die dank der Nato in Afghanistan an der Macht bleiben konnten und die Bevölkerung, insbesondere die Frauen unterdrücken. „Ich erhebe meine Stimme“ heißt das Buch der heute 30-Jährigen, eine Mischung aus Autobiografie und politischer Kampfschrift.
Als „mutigste Frau Afghanistans“ wurde Joya weltberühmt durch eine Rede, die nach weniger als einer Minute unterbrochen wurde. Am 17. Dezember 2003 schleuderte die klein gewachsene 24-Jährige den Teilnehmern der Loja Dschirga, der Gründungsversammlung des kriegsversehrten neuen Staats Afghanistan entgegen, ihre Ratsversammlung sei illegitim, „weil hier auch die Verbrecher teilnehmen, die unser Land in diesen Zustand gebracht haben“.
Seither hat Joya ein Attentat nach dem anderen überlebt. Viele ihrer Unterstützer wurden grausam ermordet, Joya beschreibt es schmucklos. Die Kraft der Frau, die als 20-Jährige unter den Taliban bereits Untergrundschulen für Mädchen eröffnete, in ihrer Heimatprovinz Farah ein Krankenhaus leitete und 2005 als jüngste Politikerin ins afghanische Parlament einzog, aus dem sie im Mai 2007 wieder verbannt wurde, verdient jeden Respekt.
Unzählige Male dankt Joya allen, die ihr geholfen haben, die für sie und mit ihr auch etwas riskiert haben, die an ihrer Sache mitarbeiten. Doch überdeutlich wird, dass Joya sich von höheren Kräften gelenkt fühlt: „Die Macht des Volkes ist wie die Macht Gottes“, schreibt sie. Eben darin dürfte der Grund liegen, warum sie bei allem bewundernswerten Mut vielleicht doch keine gute Politikerin ist: Kompromisse sind mit ihr nicht zu machen.
Nach dem K2
Doch welchen Kompromiss muss der Westen eingehen, wenn er meint, er sei in Afghanistan gebraucht? Es ist merkwürdig, dass nahezu alle US-Soldaten in Afghanistan aus einer Heldensaga über einen Mann zitieren, der Schulen in Pakistan gebaut hat. „Sometimes you’ve got to listen to the mountains“, heißt es dann. In „Der Traum vom Frieden“ von Greg Mortenson und David Oliver Relin muss sich Mortenson vom Dorfältesten Hadschi Ali zurechtweisen lassen: Manchmal dauerten Dinge eben länger. Man dürfe nicht verzweifeln. „Man kann den Bergen nicht sagen, was sie tun sollen“, man müsse „auf sie hören“.
Mortenson scheiterte bei der Besteigung des 8.611 Meter hohen K2 im pakistanischen Karakorum, geriet in ein abgelegenes Dorf und setzt seither alles daran, den Kindern des Karakorum Schulen zu bauen. Das ist bewegend, selbstverständlich oft kitschig, und endet damit, dass er über die Grenze kommt und sich als nächstes Afghanistan vornimmt. Nichts wünscht sich auch die Leserin am Schluss mehr, als dass Mortenson auch in Afghanistan Erfolg hat. Ob er dort aber damit weiterkommt, dass er auf die Berge des Hindukusch hört, das erfährt man eben gerade nicht.
■ Kerstin Tomiak: „Drachenwind. Mein Jahr in Afghanistan“. Knaur, München 2009, 288 Seiten, 9,95 Euro
■ Malalai Joya: „Ich erhebe meine Stimme“. Aus dem Englischen von Dagmar Mallett. Piper, München 2009, 304 Seiten, 19,95 Euro
■ Greg Mortenson, David Oliver Relin: „Der Traum vom Frieden“. Aus dem Englischen von Karin Dufner. Malik, München 2009, 448 Seiten, 22,95 Euro