: Hass und Selbsthass
Die kämpferische Reportage „Ein Tag mit Folgen“ (21.50 Uhr, Arte) über den Mord an Theo van Gogh zeigt zerrissene Niederlande
VON ULRIKE HERRMANN
Es ist ein Film der harten Schnitte. Eine Reportage, die sich vor Meinungen nicht scheut. Schon nach wenigen Minuten ist die zentrale These aus dem Off zu hören: Der islamistische Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh sei „politisch genutzt“ worden, um „das Ende der multikulturellen Gesellschaft zu verkünden“. Nicht nur in den Niederlanden, auch in Deutschland, wie diese Dokumentation provokant verkündet.
Zur Beweisführung hat Regisseurin Karin Jurschik eine einfache und doch wirkungsvolle Methode gewählt: die Konfrontation. Da sieht man etwa Paul Scheffer, den im Ausland wohl meistzitierten niederländischen Intellektuellen. In Denkerpose dekretiert der Publizist „eine generelle Verantwortlichkeit der Moslems“ für den Mord an Theo van Gogh.
Schnitt. Das nächste Bild zeigt dann eine irakische Frau mit Kopftuch, die schüchtern widerspricht: „Niemand akzeptiert, was passiert ist.“ Sie stellt sich später als eine allein erziehende Mutter mit sieben Kindern heraus, die den Islam von innen reformieren will. Tiefgläubig, ist sie dennoch Feministin und will nun weibliche Imams durchsetzen, wie sie in perfektem Niederländisch erklärt.
Solche Frauen kommen bei Margalith Kleijwegt gar nicht erst vor. Die niederländische Journalistin hat einen Bestseller verfasst, der demnächst auch nach Deutschland kommen dürfte: Monatelang befragte sie marokkanische Frauen in Amsterdam-West, wo auch Mohammed B. wohnte, der Mörder von Theo van Gogh. In hübscher Grachten-Wohnung und hübscher Bluse fasst Kleijwegt ihre Erkenntnisse über die muslimischen Mütter zusammen: „Sie haben nicht genug probiert, Teil dieser Gesellschaft zu werden. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Wenn du Kinder hast, musst du sie anständig erziehen.“ Fazit: „Dann sollen sie eben nicht so viele Kinder haben.“
Das hätte in seiner generalisierenden Arroganz auch für sich stehen können. Doch Schnitt, zwei marokkanische Jugendliche sind im Bild. Sie berichten, wie sie sich schon als 4-Jährige von einheimischen Niederländern anhören mussten, dass Marokkaner „Ratten der untersten Stufe“ seien.
Der niederländische Vorzeige-Marokkaner ist Ahmed Aboutaleb, heute stellvertretender Bürgermeister in Amsterdam. Verbittert stellt er fest: „Man ist nur ein toller Hecht, wenn man sagt, die Integration ist gescheitert.“ Dabei würden alle Statistiken zeigen, dass die Bildungskurven der Migranten seit den 60er-Jahren steil nach oben zeigen. „Aber es ist politisch nicht korrekt, das zu sagen.“
„Extremismus“ konstatiert auch der niederländische Soziologe Jan Rath bei vielen seiner Landsleute. Sie seien gestresst durch den Abbau des Sozialstaats: „Die Gesellschaft wird zum Markt und der Nachbar wird zum Konkurrenten.“
Theo van Gogh war ein Sprachrohr für diese neuen Ängste. Immer wieder werden Ausschnitte aus einem Interview mit dem Filmemacher gezeigt, das er dem niederländisch-muslimischen Fernsehsender NMO gegeben hat. Viele seiner Äußerungen sind bekannt und schon oft als besonders krass zitiert worden. Wenn er etwa pauschal behauptet, der Islam sei „eine 5. Kolonne, die unsere Werte hasst“.
Dennoch entsteht ein überraschendes Bild in Jurschiks sehr kämpferischem Film. Van Gogh beneidete den Islam, der „das Paradies hat“. Während er von sich selbst sagen muss: „Ich habe nichts, um dafür zu kämpfen.“ Also würde der Islam gewinnen „und deswegen ist er für mich eine Bedrohung“. Der Verachtung für das Fremde, so wird deutlich, ist eine Form des Selbsthasses.