: Wenn Diebe statt Archäologen kommen
Mesopotamien, das Land zwischen Euphrat und Tigris, gilt als Wiege der Zivilisation. Ein Teil des kulturellen Erbes des Irak haben Plünderer und fremde Truppen unwiederbringlich zerstört. Manchmal verschläft auch die Polizei einen Raub
AUS ERBIL INGA ROGG
Nach Mitternacht kann einen Polizisten schon mal die Müdigkeit übermannen. Wenn er sich dann ein kleines Nickerchen gönnt, fällt das meist auch niemandem weiter auf. Zumal dann nicht, wenn er zur Bewachung eines Objekts abgestellt ist, das auf so geringe öffentliche Resonanz stößt wie das Zivilisationsmuseum in Erbil. Pech ist freilich nur, wenn ein schamloser Dieb die menschliche Schwäche des Wachmanns ausnutzt, in das Museum einbricht, in aller Seelenruhe einige seiner feinsten Stücke in einen Plastiksack stopft und unerkannt im Dunkel der Nacht verschwindet. So geschehen im Dezember in Erbil. Gleich zwei Wachleute waren damals in den Tiefschlaf gesunken.
In diesem Fall hatten Museum wie Polizisten Glück im Unglück. Der Dieb wurde Ende Juni gefasst und ein Großteil der Objekte sichergestellt, darunter bemalte Keramik und andere Alltagsgegenstände aus prähistorischer Zeit, sumerische Keilschrifttafeln und weibliche Tonfiguren aus der Zeit der assyrischen Reiche. Selten geht der Raub an der alten Kultur des Irak freilich so glimpflich aus wie in Erbil. Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen wurden aus dem Museum von Bagdad mehr als 15.000 Objekte gestohlen. Bis heute sind 3.000 wieder in Bagdad aufgetaucht, 1.600 wurden in den Nachbarländern, in Europa und den USA konfisziert. Von Nord nach Süd hat seitdem jedoch ein regelrechter Plünderungsfeldzug in den archäologischen Stätten eingesetzt, der das kulturelle Erbe des Zweistromlandes zu vernichten droht. „In einigen Fällen ist die Zerstörung so groß, dass wir die historischen Puzzlesteine wohl nie wieder zusammensetzen können“, sagt Kanaan Mufti, Leiter des Museums von Erbil. „Das ist nicht nur ein Vergehen an unserer Geschichte, sondern an der ganzen Menschheit.“
Sumerer, Babylonier und Assyrer brachten entlang von Euphrat und Tigris die frühesten Zivilisationen Vorderasiens hervor. Gilgamesch, der gleichnamige Held des ältesten Epos der Menschheit, lebte hier wie auch der babylonische König Hammurabi, von dem der älteste vollständig überlieferte Gesetzeskodex stammt. Rund 12.000 archäologische Stätten sind im Irak registriert.
Statt Archäologen bevölkern derzeit aber vor allem Grabräuber die Ausgrabungsstätten. Ob die assyrische Hauptstadt Niveh bei Mossul oder das bei Nassirija im Südirak gelegene Ur, das die Bibel als Geburtsort von Abraham bezeichnet, überall bietet sich den Forschern das gleiche Bild – wie Äcker graben Plünderer die Anlagen auf der Suche nach wertvollen Objekten um.
Kulturraub ist im Irak nicht neu, einige Familie verdienen sich damit seit Generationen ein Zubrot, und die Korruption unter dem Saddam-Regime hat auch in den Museen ihren Tribut gefordert. Die weitgehende Rechtlosigkeit seit dem Sturz des Regimes hat den Plünderern indes zu bislang ungeahnter Blüte verholfen. In der Gegend um Nassirija, wo einige der ältesten Stätten liegen, hat sich mittlerweile ein regelrechtes Bandenwesen entwickelt. Ausgestattet mit Geländewagen und Maschinengewehren machen sie sich über die Fundstätten her. Die örtliche Kommission für Altertümer hat vor der Übermacht der Raubritter längst kapituliert. Er sei kein Archäologe mehr, sondern Polizist, sagte kürzlich Kommissionsleiter Abdul Amir Hamdani. Da er die Stätten nicht schützen könne, setze er darauf, über einen Gewährsmann den Schmugglern auf die Spur zu kommen. Kapituliert haben auch die in Nassirija stationierten italienischen Truppen. Nach ein paar Monaten hat eine Sondereinheit der Carabinieri ihre Luft- und Bodenpatrouillen wieder eingestellt.
Wenig Rücksicht auf das Kulturerbe nahmen freilich auch die Koalitionstruppen. Als US-Soldaten im April 2003 in Babylon bei Hilla ihre Militärbasis aufschlugen, ebneten sie kurzerhand einen Teil des antiken Geländes für einen Helikopterlandeplatz und Parkplätze ein. Später schlugen die polnischen Einheiten hier ihr Lager auf und zerstörten mit ihrem schweren Militärgerät Teile des 2.600 Jahre alten Pflasters. Archäologische Funde aus dem riesigen Areal, landeten in den Sandsäcken zum Schutz vor Angriffen der Aufständischen. Das ist, als würde man bei den ägyptischen Pyramiden ein Militärlager aufschlagen, schrieb der britische Altertumskundler John Curtis nach einem Besuch der Stätte in seinem Bericht.
Wegen der immensen Schäden hat der World Monument Fund, eine in New York ansässige Stiftung zum Schutz des Kulturerbes, gleich den gesamten Irak in die Liste der bedrohten Stätten aufgenommen. Dass sich damit der Raubzug im Zweistromland aufhalten lässt, ist unwahrscheinlich. Ein Fundstück, für das der Dieb auf dem hiesigen Markt vielleicht 50 Dollar kassiert, kann auf dem internationalen Kunstmarkt mehrere tausend und mehr Dollar einbringen. Auf den traditionellen Schmuggelpfaden gelangen die Objekte in die Nachbarländer, von wo sie dann über die internationale Kunstmafia in den Tresoren privater Sammler landen.
In Kurdistan habe man das Problem aber im Griff, sagt Museumsleiter Mufti. Damit daran keine Zweifel aufkommen, präsentierte das kurdische Fernsehen den einsamen Dieb von Erbil. In einer Reality Show musste er dabei vor laufender Kamera seinen Diebstahl selbst nachspielen. Als Kriminellen aus einem Nachbarland kündigte ihn der Moderator vielsagend an. Aber kaum hatte der Verdächtige seinen ersten Satz gesagt, wusste jeder: Es ist ein Kurde aus dem Iran. Über die beiden schlafenden Polizisten schwieg sich die Sendung aber vornehm aus.