Grüne: Weg von den Kopien

Der Kanzler und alle Welt machen jetzt in Klimaschutz, und den Grünen gehen Umfragepunkte verloren. Dabei war „Weg vom Öl“ ihre Idee. Letzte Hoffnung: dass Ölpreis und „Katrina“ die Wähler noch daran erinnern, wer die Ökopartei ist

VON ULRIKE WINKELMANN

Die Grünen wissen nicht genau, ob sie gekränkt oder geschmeichelt sein sollen. Alle Welt kräht jetzt „Weg vom Öl“, weil der Spritpreis so hoch ist und der Wirbelsturm „Katrina“ in den USA alles noch schlimmer gemacht hat. Nur die Grünen haben doch schon Anfang des Jahres, bei der Klausursitzung im sachsen-anhaltinischen Örtchen Wörlitz, „Weg vom Öl“ gesagt. Da wollte es bloß noch keiner hören.

Im Januar ging es darum, dass Maut, die Tsunami-Hilfe und Hartz IV anrollten. Im Januar, vielleicht erinnert sich noch jemand, ging es ja Rot-Grün überhaupt noch ganz gut.

Abends beim Glühwein raunte eine Grünen-Spitzenkraft, man habe sich beraten lassen: Steigende Energiepreise seien für die Unternehmen und für die Arbeitsplätze viel wichtiger als die Lohnnebenkosten! Früh genug hatten die Grünen also einen Grund, sich wieder auf Ökologie zu besinnen, statt sich mit Sozialabbau unbeliebt zu machen.

Doch nun müssen sie seit Wochen zusehen, wie ihnen ein Kanzler Gerhard Schröder mit Umwelt- und Klimaschutz in einem polarisierten Schröder-gegen-Merkel-Wahlkampf die Aufmerksamkeit raubt. Recht offen gibt auch Parteichef Reinhard Bütikofer zu: „Es könnte sein, dass die Forschungsgruppe Wahlen Recht hat“ – damit, dass die ein bis zwei Prozent Zustimmung, die der SPD jüngst zugewachsen sind, bei den Grünen jetzt fehlen. Von vermeintlich betonsicheren 9 sind sie unter 7 Prozent gerutscht.

Sind die Wähler doch irritiert, dass die Grünen keine Machtoption mehr haben? Ist ein Außenminister Joschka Fischer doch kein „Zugpferd“ mehr im Wahlkampf, wenn er als Außenminister gar nicht wiederwählbar ist, sondern bestenfalls als größte Klappe der Opposition?

Die Grünen selbst behaupten, ihren Wählern komme es auf die Inhalte, nicht auf die Regierungsbeteiligung an. Und „Weg vom Öl“ gehört ihnen. Deshalb wollen sie heute in einer vollkommen symbolischen Bundestagssitzung erneut versuchen, die Hoheit über das Energiethema zurückzuholen. Als rot-grüne Harmonieaktion wird zwar ein Antrag zum allgemeinen Lob der gemeinsamen Regierungszeit ausgewalzt („… Standhaft für den Frieden / Für Arbeit, Sicherheit und Menschlichkeit“).

Doch in eigener Sache bringen die Grünen auch ein gestern in der Fraktion verabschiedetes „10-Punkte-Sofortprogramm: Weg vom Öl – Rein in die neuen Energien“ mit. Unter anderem verlangen sie die Verdoppelung der Biosprit-Anteile im Kraftstoff und die Umstellung der Kfz-Steuer auf eine Besteuerung nach Spritverbrauch.

Im Einzelnen sind dies längst formulierte Positionen der Partei. Doch die Wähler, sagt Bütikofer, sollen erfahren: „Wir sind das Original, die anderen die Kopie.“

Ölpreis und „Katrina“ würden demnach ausgerechnet beim Grünen-Wähler erst ab heute auf die Meinungsbildung durchschlagen. Wie bemerkenswert. Sonst gehen die Grünen selbst immer davon aus, dass ihre Wähler keine Spätzünder sind.