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Archiv-Artikel

Meerjungfrauen auf Findlingen

Sprache hat viel Gewicht. Am Kölner Theater der Keller inszeniert Meinhard Zanger Ibsens „Frau vom Meer“

Es gehe ihm nicht um die Sache der Frauen, sondern um die des Menschen, hat Henrik Ibsen einmal gesagt. Und doch werden seine berühmten Ehedramen “Nora“ und „Die Frau vom Meer“ noch heute vor allem als Fanale weiblicher Emanzipation wahrgenommen – zu Unrecht, wenn man die Thematik der beiden Stücke in ihrer Gesamtheit betrachtet. Vor allem das jüngere, die 1888 entstandene „Frau vom Meer“, ist weniger ein Frauen- denn ein Freiheitsdrama. Neben die Eheproblematik treten grundsätzliche Fragen wie die nach der Selbstbestimmung des Individuums und dem inneren Zwang zur eigenständigen Gestaltung des Lebens.

Am Kölner Theater der Keller inszeniert Meinhard Zanger die „Frau vom Meer“ vor sommerlicher Kulisse: Segelförmige Stoffbahnen in transparentem Crème, große graue Findlinge, dazu weiße Bodenplanken wie in einer altertümlichen Badeanstalt stehen für ein idyllisches Städtchen an der Fjordmündung. Hier lebt der Arzt Wangel mit seinen Töchtern und seiner zweiten Frau Ellida. Sie ist die „Frau vom Meer“, wie die Familie sie nennt – ein Naturkind, das ständig schwimmen geht. Eine Frau ohne Verantwortung, die die Rolle der Hausherrin und Stiefmutter nie angenommen hat, sondern wie ein verwöhnter Gast im eigenen Haus lebt. Und der die enge Fjordmündung als Lebensperspektive nicht genügt: Sie sehnt sich nach dem offenen Meer zurück, wo sie aufgewachsen ist und ihre große Liebe erlebte – zu einem Seefahrer, der eines Tages verschwand, nur um sie seitdem in Träumen und Gedanken immer wieder heimzusuchen.

Nach und nach nimmt Ellidas Problem Gestalt an: Sie ist in die Ehe mit dem Doktor geflohen. Um der Sitte zu genügen und ihre Liebe zu vergessen. Vor allem aber um nicht darüber nachdenken zu müssen, was sie eigentlich will. Als der einstige Geliebte plötzlich wie Memento und Menetekel zugleich wieder aus der Versenkung auftaucht, verlangt Ellida vom Doktor, dass er sie freigibt. Nicht, damit sie ihrem Seemann auch ja folgen kann, sondern um als freier Mensch über ihren weiteren Lebensweg zu entscheiden.

Meinhard Zangers „Frau vom Meer“ ist eine Einladung zum Ausspielen der großen Gefühle. Als Mittel zum Zweck dient dabei, wie so oft am Theater der Keller, der sehr phantasievolle Umgang mit Intonation und Sprache. Stefanie Mühle verkörpert eine halb naive, halb manische Ellida, die im Verlauf des Abends zunehmend reifer wird und die tiefgründigen Sentenzen des Autors (“Gib mir meine Freiheit zurück“) immer emotionaler spricht – so lange bis es vom großen Gefühl zum Courths-Mahlerschen Pathos nur noch ein sehr kleiner Schritt ist. Doch Mühles Spiel bleibt trotz aller Emphase überzeugend, zumal es Bernd Reheuser genügend Raum lässt, seinen Doktor Wangel zwischen sommerlicher Aufgeräumtheit und angestrengtem Verständnis für die Seelenlage seiner Frau oszillieren zu lassen. Das zickige Sprachgebaren der Töchter (Marie-Theresa Lohr, Katrin Schmieg) deutet weitere ungelöste Konflikte an, die der lungenkranke Bildhauer Lyngstrand (Florian Bender) erfolglos zu bannen versucht, indem er seelenvoll und Möhrchen knabbernd die Vorzüge weiblicher Unterwerfung intoniert.

Wo die Sprache so viel Gewicht bekommt, bleibt das Bühnenspiel zuweilen auf der Strecke. Auch bei Meinhard Zanger sitzen die Figuren allzu oft wie lauter kleine Meerjungfrauen auf den Findlingen herum, kreativer Körpereinsatz und echte Überraschungen in der Nutzung des Bühnenraums sind selten. Trotzdem: Zanger gelingt die saubere, gefühlvolle, manchmal etwas zu komödienstadelige Inszenierung eines großen Dramas. Des Dramas von der Freiheit als der größten und zugleich unbequemsten aller Chancen.

HOLGER MÖHLMANN

20:00 Uhr, Theater der Keller, KölnInfos: 0221-318059