: Europas Milliarden in den Wind
Ohne nennenswerten Widerstand verzichtet die neue Landesregierung auf Milliarden aus Brüssel. Strukturschwachen Regionen wie dem Ruhrgebiet droht der Absturz. Opposition: Rüttgers gefordert
VON ANDREAS WYPUTTA
Nordrhein-Westfalens schwarz-gelbe Landesregierung bereitet sich auf ein Ende der milliardenschweren Strukturförderung der Europäischen Union vor. „Wie es ab 2007 weitergeht, ist derzeit unklar, Unsicherheiten bestehen bezüglich der Höhe des Budgets, der regionalen Aufteilung und der inhaltlichen Ausgestaltung zukünftiger Strukturfonds“, so das CDU-geführte Landesministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie in einer offiziellen Mitteilung. Eine „zuverlässige Prognose für die Programmperiode 2007 bis 2013“ sei damit „nicht möglich“.
Wirtschaftlich schwachen Regionen wie dem Ruhrgebiet, Teilen Ostwestfalens oder dem rheinischen Kreis Heinsberg droht damit der Absturz: Bisher pumpte die EU jedes Jahr hohe dreistellige Millionenbeträge besonders ins Ruhrgebiet, wo ganze Industriezweige weggebrochen sind – noch einmal aufgestockt durch so genannte „Kofinanzierungsmittel“ des Landes. Rund 1,8 Milliarden Euro fließen allein in der Förderperiode 2000 bis 2006, 73 Prozent gingen ins Revier.
Ab 2007 aber muss massiv gekürzt werden. Nötig sei eine „neue Sachlichkeit“, ein „Paradigmenwechsel“, mahnt Nordrhein-Westfalens neue Wirtschaftsministerin Christa Thoben bereits. Die „einzig richtige Strategie“ sei die „Kooperation und Konzen-tration auf das Wesentliche“, sagt Thoben und verweist auf „leere Kassen auf allen staatlichen Ebenen“. Gerade die Städte des Ruhrgebiets müssten viel enger zusammen arbeiten, mahnt die Ministerin: „Begrüßenswerte Kooperationen“ gebe es derzeit nur in der Abfallwirtschaft, bei der Revitalisierung der Städte und in der Wohnungswirtschaft. Doch selbst die gemeinsame Vermarktung der Region sei noch ein „zartes Pflänzchen“, ärgert sich die aus Bochum stammende Thoben – und fordert einen „Strategiewechsel, der die Metropole Ruhr aus eigener Kraft in die Zukunft führen will“.
Eine riskante Strategie: Die neue Landesregierung riskiere „massive Arbeitsplatzverluste“, warnt Nordrhein-Westfalens ehemaliger SPD-Europaminister Wolfram Kuschke bereits – mit den Brüsseler Milliarden wurde auch die Wirtschaft vor Ort angekurbelt. In „vorauseilendem Gehorsam“ sende Wirtschaftsministerin Thoben Signale der Schwäche nach Brüssel: „So wird doch der Eindruck erweckt, dass die Landesregierung gar nicht mehr kämpfen will und freiwillig auf die Milliardenförderung verzichtet“, ärgert sich Kuschke. Das Signal ist doch: „An die EU-Förderung glauben wir nicht mehr.“
Skepsis herrscht auch im Umfeld von CDU-Europaminister Michael Breuer. Hatten die Christdemokraten in Oppositionszeiten die Europapolitik der SPD-geführten Vorgängerregierung immer wieder als ineffizient kritisiert, geben sich die Berater Breuers heute kleinlaut. „Völlig unklar“ sei, wann die im Streit um Agrarsubventionen gescheiterten EU-Haushaltsberatungen wieder aufgenommen werden könnten, ist aus dem in der Staatskanzlei angesiedelten Ressort Breuers zu hören. „Die britische Präsidentschaft will noch einen Anlauf machen. Vielleicht müssen wir aber auch auf die österreichische Präsidentschaft warten.“ Die Möglichkeiten Nordrhein-Westfalens seien ohnehin beschränkt – ganz so, als verfüge das größte Bundesland über keine eigene Vertretung in der EU-Zentrale Brüssel: „Völlig unklar ist doch auch, wie sich die neue Bundesregierung in den Fragen der EU-Strukturförderung aufstellt.“
Die neue Landesregierung müsse sich viel offensiver aufstellen, fordert auch Sylvia Löhrmann, Chefin der grünen Landtagsfraktion. „Derzeit wird doch eher der Eindruck erweckt, NRW sei mit dem Wegfall der Fördermilliarden einverstanden. Dabei brauchen wir doch möglichst viel von dem Kuchen.“ CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers müsse sich persönlich einschalten – der frisch ernannte Minister Breuer sei „in Europaangelegenheiten noch nicht ganz so versiert“, so Löhrmann zur taz. „Das Thema der EU-Strukturförderung muss als Problem der ganzen Landesregierung Chefsache werden. Der frühere Ministerpräsident Peer Steinbrück hat sich schließlich auch immer persönlich um das Thema gekümmert.“