Im Gewirr der Rechtsgutachten

Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren zur geplanten Nordwestlandebahn des Frankfurter Flughafens: kaum Andrang der 127.000 Einwender. Die Vertreter vom Flughafenbetreiber Fraport demonstrieren Langeweile und Desinteresse

AUS OFFENBACH HEIDE PLATEN

Überall Verbotsschilder, nicht rauchen, Handys aus, Bild- und Tonaufnahmen untersagt. Der Zutritt, „Nur für Teilnahmeberechtigte“, ist streng reglementiert. Darüber wacht in der Offenbacher Stadthalle der türfüllende Herr Kaufmann von der Firma Securitas, der die „nicht übertragbare Einlasskarte“ plus Personalausweis kontrolliert: „Eingang hier, Ausgang dort!“

Der große Saal mit dem Charme einer Reithalle ist spärlich dekoriert, weiße und rote Alpenveilchen vor der Bühne. Da oben thronen die Vertreter des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport links, rechts die des Darmstädter Regierungspräsidiums. Viermal wöchentlich von 9.30 bis 19 Uhr wird abgearbeitet, was die rund 127.000 Einwender gegen den Ausbau des Airports, den Neubau der Nordwestlandebahn so vorzubringen haben. Es ist das bisher bundesweit größte Verfahren seiner Art.

Trotzdem blieb der erwartete große Andrang aus. Rund 100 regelmäßigen Teilnehmer verlieren sich auf den 1.500 Plätzen. Bis Februar ist der „Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren“ terminiert. Er ist kein Vergnügen für die, die da oben sitzen. Die Rechtsanwälte der Ausbaugegner, der Kommunen und Gemeinden der Region stampfen die Experten der Fraport tagtäglich neu vom Parkett aus in Grund und Boden, weisen ihnen Schlampigkeit, veraltetes Zahlenmaterial, fehlinterpretierte Statistiken in ihren ausbaupositiven Gutachten nach.

Auf dem Podium herrscht nicht gerade das geballte Engagement, sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinanderzusetzten. Lustlos arbeiten die Fraport-Vertreter einschließlich der Gutachter die Fragen ab, vergessen sie schon mal und zitieren vorwiegend sich selbst. Bedenkenträger stoßen auf Gebetsmühlenantworten.

Den ersten Sachargumenten war seit Beginn am 12. September auf beiden Seiten ein tagelanges enervierendes Gezerre um Verfahrensfragen, Verhandlungszeiten und Tagungsort vorausgegangen. Wer setzt sich dem aus, wer sitzt da – außer den dafür bezahlten Gutachtern und Experten – an einem Ort der Tristesse, an dem es für nicht juristisch oder technisch gebildete Laien wenig zu verstehen gibt? Die Antwort liegt darin, dass die Laien aus der Rhein-Main-Region im Behördenjargon „private Einwender“ heißen. Nach drei Jahrzehnten Kampf gegen ungehemmtes Weiterwuchern des Flughafens sind aus diesen Laien Experten geworden, die sich sehr wohl auskennen mit Windrichtungen, Verkehrsaufkommen und -prognosen. Kurz und knapp sind manche, redegewandt, andere mühen sich ernsthaft, stockend und langsam.

Helmut Schäfer (70) ist einer von den Eloquenten. Der Rentner aus Rüsselsheim ist kein Technikgegner. Fast 40 Jahre lang hat der Industriekaufmann bei der Hoechst AG und anderen Chemiefirmen gearbeitet und pflegt sein Hobby, den Modellflug, mit Begeisterung. Aber mittlerweile sei der Fluglärm auch ohne Ausbau „einfach zu viel geworden“. Schallschutz im Schlafzimmer, geschlossene Fenster, Wohnzimmer und Terrasse unbenutzbar. Er hat gesehen, wie die Menschen in London und Paris mit ihren zentralistischen Flughäfen zurechtkommen müssen: „Das ist einfach nicht mehr lebenswert.“

Und so wurde er Einwender, arbeitet an diesem Vormittag in der Stadthalle als einer der Ersten seine Mängelliste ab: wachsende Konkurrenz durch andere Flughäfen, Billigflieger und schnellere Züge, weniger Flugbewegungen durch größere Passagiermaschinen, demografische Bevölkerungsentwicklung, sinkendes Einkommen, steigende Energiepreise, Ignoranz bei der Erschließung von Alternativen, wachsender Punkt-zu-Punkt-Flugverkehr. All das sieht Helmut Schäfer bei der Wachstumsplanung der Fraport nicht berücksichtigt.

Die Antworten vom Podium sind spärlich. Helmut Schäfer reichen sie nicht aus. Er fürchtet, dass die Erörterung, wie schon die zum Bau der A-380-Werft, zum „Schaulaufen der Experten“ werden wird. Argumente verlieren sich leicht im Gewirr der 17.500 Seiten umfassenden Unterlagen. Das Regierungspräsidium allerdings hat dazu gelernt und das Verfahren strukturiert. Umweltauswirkungen werden Ende Oktober zur Debatte stehen, der Lärm Anfang November, die Sicherheit erst Ende Januar. Gebaut werden könnte frühestens ab 2007.