: Männer des Basketballs
Diego Maradona freute sich noch darüber, dass es im Fußball auch Zwerge zu etwas bringen können. Die Zeiten haben sich allerdings geändert: Heute geht der Trend im Sturm zum 2-Meter-Hünen
VON RONALD RENG
In einer frischen Madrider Septembernacht schnürte sich Nikola Zigic die Schuhe, dehnte die Muskeln und war bereit, ein Fußballspiel zu verwandeln. Das ist die Aufgabe aller Angreifer, die eingewechselt werden, wenn es schlecht um das eigene Team steht. Am Ende des Abends hatte Zigic offenbart, wie sich der Fußballsport in Zukunft wandeln wird.
Fußball schien bis dahin eine der letzten Sportarten, in der Größe kaum eine Rolle spielte. Ob Basketball, Handball oder Volleyball, wer hervorragend sein will, muss herausragende Körpermaße und Physis besitzen. Fußball dagegen „ist so schön, so anders als alles andere, weil es in diesem Sport für alle und jeden einen Platz gibt, sogar für einen Zwerg wie mich“, sagte Diego Maradona, der mit 1,68 Metern der größte Fußballer der Geschichte war. Doch dann wurde es September 2005, Spanien überrannte Serbien-Montenegro in einem Weltmeisterschafts-Qualifikationsmatch mit berauschendem Angriffsfußball, als Serbien „diesen Mann des Basketballs“ einwechselte, wie Spaniens Trainer Luís Aragonés später knurrte.
Nikola Zigic ist 25, Mittelstürmer bei Roter Stern Belgrad. Die Bundesliga-Clubs Hertha BSC und Mönchengladbach interessierten sich für ihn, in den vergangenen zwei Spieljahren erzielte er in 55 Spielen 34 Tore. Er misst 2,02 Meter. Er baute sich mit dem Rücken zum spanischen Tor auf, die Serben schlugen weite, hohe Bälle auf ihn, er eroberte sie alle. Einmal stand der Ball geradezu in der Luft, Spaniens Weltklassetorhüter Iker Casillas, 70 Kilo, 1,85 m, kam aus dem Tor. Er prallte an Zigic ab wie ein Vogel an einer Fensterscheibe. Zigic legte den Ball vor, Mateja Kezman schoss zum goldenen 1:1 ein; das Endergebnis, das den Vorteil in jener Qualifikationsgruppe von Spanien zu Serbien wechseln ließ.
Wenn in den kommenden sieben Tagen die europäische Qualifikation für die WM 2006 in Deutschland entschieden wird, ist dies eine gute Gelegenheit festzustellen, wie die Mittelstürmer auf einmal wachsen. Nicht nur Serbien hat Zigic, England wird den gesperrten Wayne Rooney durch den zwei Meter großen Peter Crouch vom FC Liverpool ersetzen. Norwegen stürmt mit John Carew, 1,93 m groß, Griechenland mit Angelos Charisteas, der 1,91 m misst. Tschechien und Schweden klagen, weil Jan Koller von Borussia Dortmund, 2,02 m, beziehungsweise Zlatan Ibrahimovic von Juventus Turin, 1,92 m, verletzt ausfallen.
„Auf den zentralen Abwehrpositionen sind die Kleinen schon lange nicht mehr gefragt“, sagt Christoph Franke, Trainer des Zweitligisten Dynamo Dresden. „Und so wird es ihnen auf der Mittelstürmerposition allmählich auch ergehen.“ Franke setzt die Tendenz „extraextragroß“ in Deutschland am konsequentesten um, vier seiner fünf Stürmer sind über 1,90 m, darunter auch der Bosnier Tomislav Stanic, der stolze 2,02 m misst.
Es hat gedauert, bis der Fußball den Körper entdeckte: Selbst in der DDR, die bekannt dafür war, Sportler schon als Kinder mit Handwurzelmessungen nach der zu erwartenden Größe auszuwählen, blieb dieser Sport außen vor. „Die Großen wurden alle zu Handballern oder Ruderern gemacht“, sagt Franke, „für den Fußball blieben keine mehr übrig.“
Die Länge des Stürmers gibt einem Team eine unschätzbare Zusatzoption: den Angriff ohne Mittelfeld. Mit langen, hohen Diagonalpässen aus der Abwehr lässt sich ein großer Stürmer anspielen, ist er halbwegs geschickt, wird er den Ball gegen die kleineren Verteidiger immer behaupten. Liverpools Trainer Rafael Benítez kaufte Crouch explizit für diese Aufgabe für 10,5 Millionen Euro vom Erstliga-Absteiger Southampton. „Wir haben vergangene Saison auswärts eine Menge Spiele verloren, weil die langen Pässe, die wir im Bedrängnis nach vorne schlugen, sofort wieder zurückkamen“, sagt Benítez, „ich brauchte jemanden, der den Ball dort vorne konserviert.“ So wie Crouch das kann. Mit der Urform des XXL-Stürmers, mit grobschlächtigen Angreifern wie Horst Hrubesch, deren Fußball ausschließlich aus Kopfballspiel zu bestehen schien, haben die modernen Riesen allerdings nichts zu tun. Crouch, Koller, Zigic sind technisch versierte, wendige Stürmer. „Ich mache mehr Tore mit dem Fuß als mit dem Kopf“, sagt Crouch. Vergangene Saison traf er in 24 Partien 16 Mal für Southampton.
„Freak, Freak, Freak!“, schrien die gegnerischen Fans, als Peter Crouch vor sechs Jahren mit 18 sein Profidebüt gab. Alles an ihm ist so lang und dünn, sogar das Gesicht. Die Hänseleien jedoch „gleiten an mir ab wie Wasser auf dem Rücken einer Ente“, sagt er: „Ich bin ja nicht über Nacht riesig geworden, ich bin mein ganzes Leben Sprüche über meine Größe gewöhnt.“ So wird sich der Fußball auch an Stürmer wie ihn gewöhnen müssen. Schon bald werden die Männer des Basketballs in den meisten Teams zu finden sein. Am Basketball, so heißt es, habe sich Nikola Zigic in der Schule übrigens einmal versucht. Er war nicht sehr gut.