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Archiv-Artikel

Fast alles Krawatten

EUROPA Ohne „Gender Balance“ geht in der EU nichts mehr. Außer in Brüssel. Dort regieren fast nur Männer

EU-Kommission

Der Termin: In der nächsten Woche wird über die Zusammensetzung der neuen, 27-köpfigen EU-Kommission entschieden. In der alten waren nur acht Frauen.

VON DANIELA WEINGÄRTNER

Bei europäischen Familientreffen bleiben die Krawattenträger weitgehend unter sich. Das obligatorische Gruppenfoto, das fester Programmpunkt jedes Gipfeltreffens ist, zeigt fünfzig Jahre nach Gründung der Europäischen Union unverändert viel graues Tuch mit wenigen bunten Tupfern dazwischen. Derzeit sorgen Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Finnlands Staatspräsidentin Tarja Halonen für optische Aufhellung. Demnächst kommt noch Europas neue Außenministerin Catherine Ashton dazu. Gruppenbild mit gerade mal drei Damen.

Peinlich für einen politischen Klub, der die faire Balance zwischen den Geschlechtern zu seinem Markenzeichen gemacht hat. „Gender Balance“ muss bei jedem Projekt beachtet werden, das sich Hoffnung auf europäische Fördermittel macht. Doch in den politischen Gremien, die über EU-Politik entscheiden, bleiben die Frauen eine Minderheit. Auf gerade mal 35 Prozent ist der Frauenanteil im neuen EU-Parlament gestiegen. Die EU-Kommission zählt bislang acht weibliche Mitglieder – von insgesamt 27 Kommissaren. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird Kommissionspräsident Manuel Barroso nächste Woche eine Mannschaft mit nur noch vier Frauen präsentieren.

Warum ist der Männeranteil in europäischen Gremien so auffallend hoch? Weil sich hier die Chefs treffen – und die sind nun mal überwiegend männlich? Weil es viel Geld und Prestige zu verteilen gibt, was Männer besonders anzieht? Weil Europa eben doch nur die Summe seiner Teile ist und in vielen Nationalstaaten nicht genug ehrgeizige Frauen am Start sind? Oder liegt es an der besonderen Reisebelastung, die europäische Spitzenjobs mit sich bringen und die ein soziales Leben oder die Betreuung von Kindern nahezu unmöglich machen?

Auch für Journalisten ist Brüssel ein Reiseposten, doch bei den deutschen Medienvertretern kann sich die Gender Balance sehen lassen. Ungefähr die Hälfte sind Frauen, was nicht zuletzt der Gleichstellungspolitik der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu verdanken ist. Dennoch haben sich die deutschen Journalistinnen vor einigen Jahren in einem eigenen Netzwerk zusammengeschlossen, um sich im männlich dominierten Brüsseler Politikgeflecht mehr Geltung zu verschaffen.

Der Trick funktioniert – jedenfalls manchmal. Wenn Kommissionspräsident Manuel Barroso den deutschen Journalistinnenkreis ausgerechnet am 8. März zum Frühstück bittet, um am Internationalen Frauentag ein Gruppenbild mit vielen Damen zustande zu bringen, dann steht der Deko-Effekt im Vordergrund. Die Frauen sagten dennoch zu, nach der pragmatischen Devise: besser ein Gespräch mit Barroso am 8. März als gar keines.

Erstaunlich oft werden Politiker im rein weiblichen Kreis erfreulich gesprächig. Sie fragen, ob sie das Jackett ablegen dürfen, und plaudern aus dem Nähkästchen. Die Erklärung, warum sie das tun, liefern sie meist gleich mit: Vor Frauen müsse man sich einfach nicht so in Acht nehmen wie im männlichen Haifischbecken.

Für viele Frauen aus den neuen Mitgliedsländern im Osten ist Gleichstellung kein Thema. Als die taz nach der Osterweiterung 2004 eine Podiumsdiskussion mit den neuen Kommissarinnen aus Osteuropa organisieren wollte, handelte sie sich lauter Absagen ein. Weiblichkeit sei kein Kriterium für eine Einladungsliste, so die einhellige Reaktion. An einer Debatte zu einem Sachthema werde man sich aber jederzeit gern beteiligen.

Manchmal erwärmen sich aber auch Frauen für Gender Balance, bei denen man es nicht vermuten würde. Die beinharte holländische Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, die Microsoft und die deutschen Landesbanken das Fürchten lehrt, packte beim Treffen mit den deutschen Journalistinnen weit zurückliegende Anekdoten aus. Als junge Assistenzprofessorin für Ökonomie in Rotterdam hatte sie ihrem Chef in den 60er-Jahren eine Hochzeitsanzeige in die Hand gedrückt. Da müsse er sich ja nun leider nach einer anderen Mitarbeiterin umschauen, hatte der geantwortet.

2004 kam Kroes das europäische Bekenntnis zur Gleichstellung bei der Karriereplanung zu Hilfe. Kommissionspräsident Barroso suchte so verzweifelt nach Frauen für sein Kollegium, dass er Kandidatinnen mächtige Ressorts versprach. Die Niederlande fanden den Handel lohnend und schickten Neelie Kroes. Zum Dank konnten sie das Wettbewerbsressort für sich sichern. Vielleicht funktioniert der Trick sogar ein zweites Mal. Zwar hat inzwischen in Holland die Regierung gewechselt, und Kroes’ rechtsliberales Parteibuch ist nicht mehr passend. Doch der konservative Ministerpräsident Jan Peter Balkenende deutete letzte Woche an, er werde die streitbare Frau vielleicht noch einmal schicken, wenn sie wiederum ein bedeutendes Ressort erhalte. Barroso könnte damit den Frauenanteil in seiner Kommission auf satte 18 Prozent steigern.