: „Sie lernen beim Senden“
Khaled Hroub, Medienwissenschaftler und Moderator, sieht eine Qualitätssteigerung der arabischen Satellitenprogramme. Aber er übt auch Kritik – besonders an der Sensationslust der Sender
INTERVIEW JULIA GERLACH
„Das arabische Satellitenfernsehen – Beitrag zur Demokratisierung oder zur Radikalisierung?“ lautete der Titel einer Diskussionsrunde auf der Frankfurter Buchmesse, die Khaled Hroub leitete. Ein taz-Gespräch mit dem Al-Dschasira-Moderator und Direktor des Forschungsschwerpunkts Arabische Medien an der Cambridge Universität.
taz: Herr Hroub, fördert al-Dschasira den Terror oder die Reformbewegung?
Khaled Hroub: Das Satellitenfernsehen fördert Demokratisierung, aber auf der anderen Seite stärkt das Fernsehen auch radikale Elemente. Ich glaube allerdings, dass dies ohne Absicht geschieht. Das Arbeitstempo ist unglaublich. Nur selten haben Journalisten Zeit zu überlegen, wie sie über ein Ereignis berichten wollen. Sie tun es einfach. Ich kenne die Leute persönlich, die bei uns berichten und planen. Das sind keinesfalls Radikale. Man muss auch sagen, dass wir in den letzten zwei Jahren einen großen Schritt Richtung Professionalisierung gegangen sind. Viele arabische Sender sind besser geworden. Sie lernen, während sie senden.
In Kairo gingen im Frühjahr tausende auf die Straße und demonstrierten gegen Präsident Mubarak. Im Libanon half der Protest die syrischen Besatzer aus dem Land zu vertreiben. Sind das die Früchte von neun Jahren freier Rede auf al-Dschasira?
Wir wollen nicht übertreiben, aber die neuen Medien haben Einfluss. Sie ermutigen die Menschen, ihre Meinung zu sagen, zu kritisieren, Tabus zu brechen und sich für Politik zu interessieren. Aber es fehlen demokratische Parteien, die Probleme wie Korruption, die in den Medien thematisiert werden, in ein Parlament tragen. Auch demokratische Parlamente gibt es nicht. Wir leben in einem Vakuum. Die Medien kritisieren, aber es passiert nichts. Die Medien können Protestbewegungen nicht schaffen, sie können nur Katalysator sein. Der Funke muss vom Volk kommen. Dann berichten die Medien darüber, und das wiederum gibt der Bewegung Dynamik.
Das gilt auch für die Radikalen. Die Bewegung um Abu Musab al-Sarkawi wäre niemals so stark geworden, wenn nicht die arabischen Satellitensender ihnen ein Forum gegeben hätten und ihre Videos von Köpfungen und Anschlägen auf US-Soldaten zeigen würden.
Es war ein großer Fehler, die Videos zu senden. Ich und viele andere haben Kritik geäußert, und wir wurden gehört. Jetzt werden – wenn überhaupt – nur noch ganz knappe Ausschnitte aus Videos gezeigt. Das ist gut. Die Berichterstattung über radikale Positionen sehe ich hingegen weiterhin kritisch. Da wird ausführlich über Leute wie Abu Hamsa al-Masri berichtet, die eigentlich gar keine Anhänger haben. Das geschieht, weil man ihre Meinung nicht ignorieren will. Auch Sensationslust ist ein wichtiges Thema, mit dem wir uns beschäftigen sollten. Während es in den Nachrichtensendungen in den letzten zwei Jahren Verbesserungen gegeben hat, sind die Talkshows noch von Sensationslust geprägt.
Der Fall um Taisir Aluni hat al-Dschasiras Ruf, Extremistensender zu sein, verstärkt. Die Unabhängigkeit des syrischen Reporters wurde in Zweifel gezogen, als er 2003 in Spanien verhaftet wurde. Vor wenigen Wochen fiel das Urteil: sieben Jahre Haft wegen Unterstützung von al-Qaida.
Al-Dschasira sieht in diesem Prozess einen sehr politischen Fall. Spanien verhaftete Taisir, und die Amerikaner signalisierten ihnen, dass sie den Journalisten für einen großen Fisch hielten, aus dem man möglichst viele Informationen herauskriegen solle. Ich denke, dass das Urteil, das über ihn verhängt wurde, der Gesichtswahrung diente. Sie konnten ihn nach diesem Prozess nicht einfach gehen lassen.
Die US-Außenministerin Rice lobte neulich die Rolle der Satellitensender im Reformprozess in der Region.
Ja, seit sechs Monaten hat sich das Verhältnis zu den USA merklich verbessert. Es gab weniger Attacken aus Washington. Das liegt vielleicht an einer Einsicht bei den Verantwortlichen dort und veränderten Haltung, aber auch daran, dass sich die Qualität unseres Programms verbessert hat. Die Aufregung um das arabische Satellitenfernsehen legt sich, und das tut allen gut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen