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Archiv-Artikel

„Die Banken sind nicht auf dem Mars“

FINANZWELT Der Regisseur Andres Veiel über sein Theaterstück „Das Himbeerreich“, in dem Spitzen-Banker ihre Branche schildern

Andres Veiel

■ Der Regisseur: geb. 1959, wurde mit Dokumentarfilmen wie „Black Box BRD“ und „Die Überlebenden“ bekannt. Sein Spielfilm „Wer wenn nicht wir“ (2011) erzählt die Geschichte von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper. „Der Kick“ behandelt den Mord an einem Brandenburger Jugendlichen.

■ Das Stück: „Das Himbeerreich“ wird in der Regie von Andres Veiel am 11. Januar am Schauspiel Stuttgart und am 16. am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt.

INTERVIEW STEFAN REINECKE

sonntaz: Herr Veiel, Sie haben aus Gesprächen mit 25 Exbankern und Bankern das Theaterstück „Das Himbeerreich“ montiert. Ist es einfach, mit Bankern über ihren Job zu reden?

Andres Veiel: Ich habe vor allem mit Spitzenbankern geredet, die nicht mehr im operativen Geschäft sind. Sie haben in der Bank noch ein Büro, eine Sekretärin, einen Fahrer, Etagendiener, eine Pension …

also die Helmut Schmidt der Deutschen Bank …

… die Elder Statesmen von mehreren Banken.

Warum reden die mit Ihnen?

Voraussetzung für die Gespräche war Anonymität. Als Dokumentarfilm wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.

Sie fürchten also, erkannt zu werden?

Dafür gibt es einen handfesten Grund. Sie sind vertraglich verpflichtet, über Interna zu schweigen. Verstoßen sie dagegen, verlieren sie ihre Privilegien und müssen eventuell Schadenersatz zahlen. Ich hatte manchmal Konferenzschaltungen mit zwei Anwälten, um Textpassagen so zu verschlüsseln, dass die Anonymität gewahrt bleibt.

Also haben die Anwälte an der Dramaturgie des Stücks mitgewirkt?

Ja, kann man so sagen. Das war keine Zensur, es war ein kreativer Prozess, um die Kernaussage zu erhalten und Zusammenhänge zu verfremden.

Warum reden die Banker mit Ihnen, zumal bei dem Restrisiko, vielleicht doch erkennbar zu sein?

Am Anfang war es mühsam, sie zum Reden zu bekommen. Aber das kippte: Manche wollten dann mehrmals mit mir sprechen, weil sie sich rechtfertigen und erklären wollten. Die meisten waren mehr als 20 Jahre in Vorständen oder Abteilungsleitungen und sind heute äußerst kritisch. Sie urteilen über die Banken schärfer als die Occupy-Bewegung. Mir ging es darum herauszufinden, welchen Anteil sie persönlich an dem haben, was sie jetzt attackieren.

Und?

Es gab in Banken hanebüchene Deals, Versuche, Gesetze wissentlich zu umgehen. Das war den Bankvorständen bewusst. Die Beschlüsse sind dort immer einstimmig gefallen. Keiner hat sich getraut, Nein zu sagen, auch nicht jene, die Skrupel hatten und heute empört über die Geschäftspraxis sind. Da fragt man sich: warum?

Spielt individuelle Verantwortung die Schlüsselrolle in diesem System?

Ja, nehmen wir konkret den aktuellen Skandal in der Deutschen Bank. Jürgen Fitschen hat die Umsatzsteuererklärung unterschrieben und die Steuerhinterziehung damit gedeckt. Damit trägt er die Verantwortung, egal ob er um die kriminellen Geschäfte wusste oder nicht. Die Justiz kann ermitteln, die Politik kann Regulierungen für Banken beschließen oder abschaffen. Dieses Finanzsystem wurde mit politischen Entscheidungen bewusst von der Leine gelassen. Es gibt immer Akteure, Entscheidungen, Verantwortung.

Steht noch immer das moralisch verantwortliche Subjekt im Zentrum? Herrschen nicht längst Algorithmen?

Beides. Aber auch die Algorithmen haben Menschen entwickelt. Jeder Bankvorstand kann doch die Devise ausgeben: Wir handeln nur noch mit Produkten, die wir selbst verstehen. Das wäre möglich.

Ist der seriöse, ehrbare Bankier nicht eine Retrofiktion? Die Gesellschaft begreift den computerisierten, globalen Finanzkapitalismus nicht, deshalb sehnt sie sich nach einem besseren Gestern, als es noch anständige Banker gab. Ist das nicht Kitsch?

Es geht nicht um Idealisierungen. Die Elder Statesmen sind nicht moralischer – sie verkörpern ein anderes Geschäftsmodell mit langfristigen Renditen und Kundenbindungen. Das Kurzfristige, Schnelle, die Bonikultur ist ihnen fremd. Was es früher nicht gab, war die Praxis, mit Kunden Geschäfte zu machen und hinterrücks Geld zu verdienen, indem man auf das Scheitern dieses Geschäfts wettet. Es gibt in den Banken unversöhnliche Kulturen.

Ist unter den Bedingungen globaler Konkurrenz und digitaler Beschleunigung eine Rückkehr zu dem langfristigen Geschäftsmodell und dem Sozialtypus des im nationalen Rahmen verorteten Bankers denkbar?

Ja. Die Banken sind ja nicht auf dem Mars. Sie machen Geschäfte mit Pensionsfonds, mit Städten, Staaten, kurzum den Gesellschaften. Niemand muss mit der US-Investmentbank Goldman Sachs, die ein halbes Prozent mehr Rendite verspricht, aber mehr Risiken birgt, Geschäfte machen. Niemand muss Lebensversicherungen abschließen, die handelbar sind und mit denen somit auf den frühen Tod von Menschen gewettet wird. Das ist kein Selbstlauf.

Sie hoffen auf einen moralischen Aufstand?

Ich würde eine Stufe drunter sagen: Man kann mit vielen kleinen Entscheidungen große beeinflussen. Wir sind Teil des Systems und daher eben nicht ohnmächtig, wie viele meinen.

Haben Sie auch mit jüngeren Investmentbankern und Brokern gesprochen, der Boni-Generation?

Ja, die waren sehr offen, ohne dass dies viel bedeutet. Sie sind extrem flexibel. Sie haben das Gespür, mit welchem Kunden sie ins Bordell gehen und mit welchem in die Oper. Die interessanteste Begegnung war eine Händlerin. Das Business ist ja in Deutschland, anders als in den USA, extrem männerdominiert. Und eine Fiktion der Branche ist, dass man mit Geld alles kaufen kann, auch die Frau, mit der man gerade das Geschäft gemacht hat. Die Händlerin sagt über sich: „You have to be fuckable“. Das heißt: nur in der Fantasie. Sie spielt mit, zieht eine Grenze und inszeniert so ihre Rolle als Frau in dem Geschäft.

Warum sind Banken und Trading männlich?

Feste Stimme, feste Preise. Frauen sind schon per Stimme benachteiligt. Sie sind einfach leiser. Banker müssen überzeugen, auch mit Lautstärke, mit Drohungen. Es sind eigentlich drei Fähigkeiten notwendig: Sie müssen den Kunden verführen, sich durchsetzen und einen glasklaren Verstand haben. Verführen allein reicht nicht. Und es gibt den thick thumb …

„Eine Fiktion der Branche ist, dass man mit Geld alles kaufen kann, auch die Frau, mit der man gerade das Geschäft gemacht hat“

Das wäre?

Der schwere Daumen – wenn man einen Tick zu lange auf einer Taste am Computer bleibt und der Betrag plötzlich eine Null zu viel hat. Oder man drückt statt des Verkaufen-Buttons den Kaufen-Button. Wem das zweimal passiert, fliegt raus. Offenbar sind Männer da beherrschter, berechnender und lassen sich nicht von der Euphorie, einen guten Deal gemacht zu haben, zu Fehlern verleiten.

Ist das ein neurotisches System?

Ich bin vorsichtig mit Psychopathologisierungen. Es ist eine äußerst spezialisierte Arbeit mit sehr vielen Chancen, Risiken, Entscheidungen. Es ist ein System, das Risikobereitschaft, kurzfristigen Gewinn, auch Verantwortungslosigkeit belohnt, Skrupel hingegen nicht.

Ist zum Beispiel die Deutsche Bank eine Art Parallelgesellschaft mit eigenen Regeln, Werten, besonderem Habitus?

Es gibt das Bewusstsein äußerster Exklusivität, und zwar schon in der Bank selbst. Die Arbeitsbereiche sind so spezialisiert, die Sprache ist so kodiert, dass schon zwischen zwei Etagen die Verständigung schwierig ist. Wer weiß genau, was stochastische Volatilität ist? Es existiert schon in der Sprache Ausschluss. Und natürlich macht es einen Unterschied, ob man morgens mit der U-Bahn zur Arbeit fährt oder in der klimatisierten Limousine chauffiert wird.

Eine Figur in dem Stück sagt: „Lügt mein Fahrer, wenn er Guten Morgen sagt?“ Ist Misstrauen ein kennzeichnender Teil dieses Machtsystems?

Ja. Dass der Fahrer einen Exbankvorstand überwacht, klingt erst mal nach Paranoia. Aber das ist es nicht unbedingt. Die meisten Fahrer kommen aus dem Sicherheitsdienst. Ähnliches haben mir verschiedene Banker aus verschiedenen Häusern unabhängig voneinander berichtet. Wer nicht mehr mitzieht, wird abgehört oder mit gezielten Pressekampagnen an den Rand gedrängt.

Fanden Sie diese „paranoiden“ Erzählungen glaubwürdig?

Ich weiß nicht, ob sie in jedem Fall stimmen, aber es herrscht eine Atmosphäre abgrundtiefen Misstrauens. Man weiß nicht, wem man trauen kann. Schon diese Verunsicherung ist ein Herrschaftsinstrument. Natürlich gibt es kein Superhirn, das die Fäden zieht, und keine Verschwörung. Aber es gibt handfeste Interessengruppen, und es geht immer um sehr, sehr viel Geld. Es gibt die Methoden der Mafia, um Störfaktoren loszuwerden, und es gibt die deutsche Methode. Die ist subtiler, aber dient dem gleichen Zweck. Pension, Chauffeur und Schweigeverpflichtung sind die Omertà des deutschen Bankensystems. Das ist ziviler und nachhaltiger als das Mafiasystem.