Koalitionsverhandlungen: Streit um Gesundheit

Christoph Böhr bringt erneut die Kopfpauschale ins Gespräch. Dieser CDU-Flop aus dem Wahlkampf wird mit der SPD sicher nicht zu machen sein

BERLIN taz ■ Grundsätzlich verstehen sich alle prima. Sagen sie. „Gute Atmosphäre“, „lockere Stimmung“, „aufeinander zugehen“ sind die Vokabeln, die von den Unions- und SPD-Koalitionsverhandlern gestreut werden. Über den konkreten Sachstand ihrer Gespräche halten sie relativ dicht – ein Zeichen dafür, dass die Stimmung tatsächlich bislang gut genug ist, zumindest diese Verabredung einzuhalten.

Der Koalitionsvertrag, der Mitte November unterzeichnet werden soll, wird schwerer wiegen als etwa seine rot-grünen Vorgängerdokumente. Er muss das gemeinsam zu Vertretende klar umreißen – denn ab dann gönnt man sich gegenseitig nicht mehr die Butter auf dem Brot. Trotz aller Gute-Stimmungs-Signale vertreten Union und SPD schließlich in den zentralen Bereichen Wirtschaft, Arbeit und Soziales nach wie vor teilweise konträre Konzepte, die sie auch in die nächsten Wahlkämpfe retten wollen. Das macht die Verhandlungen so schwierig.

Bei der gestrigen Sitzung der „großen Runde“ im Willy-Brandt-Haus dürften es daher vor allem die Arbeitsgruppen Verteidigung, Inneres, Justiz gewesen sein, die zur guten Miene auch gute Nachrichten, nämlich Einigung beziehungsweise Einigungsmöglichkeiten zu vermelden hatten.

Die Fachgruppe Verteidigung um den künftigen Minister Franz Josef Jung (CDU) etwa hat bereits erklärt, sie habe sich auf den Erhalt der Wehrpflicht für Männer geeinigt. Damit hat die SPD auch gleich ein internes Problem beseitigt. Denn in ihren Reihen wurden die Wehrpflichtgegner in den letzten rot-grünen Jahren immer lauter. Nun kann die SPD-Spitze dazu mit den Schultern zucken und bedauernd auf das Unions-geführte Ministerium verweisen.

Etwas undeutlich blieb im Bereich Verteidigung zunächst, ob der Einsatz der Bundeswehr im Innern tatsächlich – wie von der SPD behauptet – vom Tisch ist. Zumindest müssen die Verteidigungspolitiker auf ein für die zweite Novemberwoche angesetztes Urteil aus Karlsruhe zum Thema warten. Gestern war es der Innenminister in spe Wolfgang Schäuble, der in der Bild erklärte, eine entsprechende Grundgesetzänderung könne nötig werden: „Es gibt Bedrohungen, mit denen die Polizei allein überfordert wäre.“

Aus der Fachgruppe Justiz wurde bestätigt, dass man sich auf eine Wiedereinführung der so genannten Kronzeugenregelung geeinigt habe. Demnach sollen unter der alten wie neuen Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) die Möglichkeiten, wonach ein selbst schwer belasteter Zeuge sich mit der Belastung eines anderen „freikaufen“ oder seine Strafe mildern kann, erweitert werden. Eine entsprechende Regelung bestand bereits von 1998 bis 1999 und wurde dann wegen Wirkungslosigkeit abgeschafft. „Kleine Kronzeugenregelungen“ sieht das Strafrecht jedoch ohnehin vor. Kritiker befürchten deshalb, dass mit einer neuen „großen Regelung“ lediglich die Möglichkeiten der Polizei, trübe Geschäfte fern vom Blick des Gerichts zu machen, erweitert werden sollen.

Wie ernst es bei aller Einigkeit bei Sicherheit und Co dagegen etwa um das Koalitionsthema Gesundheit aussieht, machte gestern der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) deutlich. „Wir wollen die solidarische Gesundheitsprämie“, betonte er, bevor er in die Verhandlungsrunde marschierte. Auch der CDU-Vizevorsitzende Christoph Böhr, Spitzenkandidat bei den rheinland-pfälzischen Landtagswahlen im März, jammerte gestern gegenüber dem Tagesspiegel: „Die Union darf keinem Regierungsprogramm zustimmen, in dem sie sich selbst nicht mehr wiederfindet“, und forderte den Erhalt der Kopfpauschale. „Wie sollte ich das denn nächstes Frühjahr den Wählern in Rheinland-Pfalz erklären?“

Wenn aber die Union weder auf diese Wahlkampflinie zurückfällt, wird sie bei Ulla Schmidt (SPD) nicht allzu weit kommen. Die ist zwar nie Vorkämpferin des SPD-Gegenmodells zur Kopfpauschale, der Bürgerversicherung, gewesen. Doch natürlich kann eine Gesundheitsministerin von der SPD das Unions-Konzept nicht schlucken. Eine Lösung läge nur darin, dass Union und SPD sich auf eine Reform nicht der Einnahmen, sondern der Gesundheitsausgaben einigen. Dazu müssten sie sich freilich mit Ärztelobby und Pharmaindustrie anlegen.

ULRIKE WINKELMANN