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Archiv-Artikel

Raubtiere suchen Arbeitsstelle

Besser mal den Schmerz spüren als beständig betäubt sein: Arbeitslosigkeitsdramen und Arbeitslosigkeitskomödien dominierten bei den diesjährigen Hofer Filmtagen

Costa-Gavras mag es schärfer: In seinem neuen Film inszeniert er die Angst: Was ist, wenn man für eine Arbeitsstelle töten würde?

Der Held unserer Zeit ist – arbeitslos. Für den deutschen Film, so wie er sich dieses Jahr auf den Hofer Filmtagen präsentierte, bedeutet das eine klare Trendwende: Wo bis vor kurzem noch Jugendliche auf der Schwelle zum Erwachsenwerden die Geschichten dominierten, sind es nun die Arbeitslosen, die zur Identifikation einladen. Was nicht heißt, dass das deutsche Kino sich verstärkt um soziale Probleme kümmern würde. Nach wie vor geht es meistens um das Lieblingsthema der „Befindlichkeit“. Der Arbeitslose als Haupt- oder Nebenfigur scheint derzeit einfach das beste Mittel, um einen Film in der Gegenwart zu verankern, ihm die Aura der Aktualität zu verleihen. Und tatsächlich, wann immer auf der Leinwand dieses kleine Sätzchen fällt, „Ich bin arbeitslos“, gibt es im Publikum eine spürbare Reaktion, eine Art Widerhall, der sich manchmal als Erkenntnislacher, manchmal auch als betroffenes Atemanhalten äußert. Das hängt ganz vom Genre des Filmes ab.

Bei Eoin Moores neuem Film „Im Schwitzkasten“ war es ein Lachen. Das liegt daran, dass Moore seinem Arbeitslosen einen politischen Redenschreiber gegenübersetzt, und das dazu noch in der Sauna. „Wie geht es Ihnen damit?“, fragt der mehr fasziniert als mitfühlend. Für Regisseur und Drehbuchautor Moore ist der „Schwitzkasten“ eine Art „Modell Deutschland“: ein sympathisches, aber schlecht geführtes Unternehmen, in dem die verschiedenen Lebensstrategien aufeinander treffen; das „Ich-AG-Monster“ und die verschämte Stewardess auf Jobsuche, die engagierte Studentin auf dem Weg zum Frauenprojekt in Ruanda und der Teilzeitvater, dem sein Sohn wichtiger ist als jeder Job. Schwer zu sagen, wo hier die Grenze zwischen falschem und richtigem Leben verläuft. Wenn Bankrotteur Jost in die Sauna tritt und „Aufguss!“ ruft, versöhnen sich die Widersprüche erst mal im heißen Dampf.

In Andreas Dresens neuem Film „Sommer vorm Balkon“ dagegen löst die Sequenz der vergeblichen Arbeitssuche eher Betroffenheit aus. Und das, obwohl auch Dresens Film mehr zur Komödie als zum Sozialdrama neigt. Die von Inka Friedrich gespielte Katrin auf ihrem Gang durch Ämter und Bewerbungsgespräche aber erscheint so verletzlich wie authentisch – eine „ganz normale“ allein erziehende Mutter mit kleinem Hang zum Alkohol und einem größeren zur Depression. Wer könnte ihr das verdenken, nach drei Jahren Arbeitslosigkeit mit Anfang vierzig? Wo Eoin Moore seine Figuren realsatirisch auf Distanz hält, zeichnet sich Dresen durch Mitgefühl für seine nicht in allen Lagen sympathischen weiblichen Hauptpersonen aus. Was beide Regisseure gemeinsam haben was und deshalb typisch scheint fürs deutsche Kino, ist der Hang zur Bescheidenheit der filmischen Mittel, der wie zwangsläufig eine gewisse Versöhnlichkeit mit einschließt.

Wer es schärfer mag, ist deshalb mit einem Film wie „Le Couperet“ (Die Axt) besser bedient. Costa-Gavras, dem dieses Jahr die Retrospektive in Hof gewidmet war, inszeniert in seinem neuen Film eine grassierende Angst: Was ist, wenn jemand für eine Stelle töten würde? Im Fall des entlassenen Bruno Davert (José Garcia) bekommt dieser Plan einen erschreckenden Sinn, weil seine Qualifikation so speziell ist, dass nur fünf Konkurrenten ihn von einer möglichen Anstellung trennen. Mit mehr Glück als Verstand, was für den Film auch heißt: mit mehr Komödien- als Thrillerelementen, setzt er sein Vorhaben um. Paradoxerweise führt Costa-Gavras’ Vision des Raubtierkapitalismus eher dazu, die Furcht vor diesen Zuständen als Lustangst, als Thrill zu erleben – und damit ein Stück weit in die Ferne zu rücken.

Schließlich kann ein Arbeitsplatz auch unglücklich machen. Neele Leanna Vollmar zeigt in ihrem Erstlingswerk „Urlaub vom Leben“ einen Familienvater, den die Routine des Alltags zu ersticken droht. So unwohl fühlt sich Rolf Köster (Gustav Peter Wöhler) in seinem Leben, dass er die direkte Begegnung mit der eigenen Familie meidet und lieber morgens beim Joggen trödelt, um dann mit Genuss alleine zu frühstücken. Es passiert, was in solchen Filmen immer passiert: Die Begegnung mit einem chaotischen Mädchen (Meret Becker) bringt die Ordnung wohltuend durcheinander. Am Ende steht ein Fazit wider den Trend: Rolf Köster ist arbeitslos, aber glücklicher, ganz nach der schal schmeckenden, aber auch wahren Parole aller Lebenskrisenbewältiger: Besser mal den Schmerz spüren als ständig betäubt sein.

Im Vergleich zum deutschen Kino zeigten sich die Österreicher immer schon etwas unerbittlicher. Antonin Svobodas Debüt „Spiele Leben“, eine der Entdeckungen der Filmtage, stellte das ein weiteres Mal unter Beweis. Auch hier ist der Held arbeitslos. Kurt (Georg Friedrich) leidet allerdings nicht darunter, denn so kann er seiner wahren Leidenschaft, dem Spiel, nachgehen. Die sonst üblichen Höhen und Tiefen des Suchtfilmdramas lässt Svoboda einfach weg. Für seinen Kurt ist das Spiel eine so vollkommen in Fleisch und Blut übergegangene Lebenshaltung ist, dass es kein Außerhalb, kein Nichtspiel mehr gibt – auch das Aufhören wäre nur eine Variante des Spiels. Dem Regisseur gelingt das seltene Kunststück, das Interesse an dieser Figur immer noch zu steigern, je mehr man über sie erfährt. Die möglichen Enden einer solchen Geschichte meint man zu kennen – entweder versöhnlich oder tragisch. Svoboda aber bleibt konsequent und entscheidet sich fürs Würfeln: Der Film klingt mit verschiedenen Varianten aus. Was dem Zuschauer weder den Ausweg des Lachens noch den des Betroffenseins lässt. BARBARASCHWEIZERHOF