Das Klangbad spricht

ZUHÖREN Zum fünften Mal kamen Wissenschaftler und Journalisten der „AG Populärkultur und Medien“ zusammen, um Musik und Vorträgen zu lauschen. Sie fragen sich: Was erzählt Pop?

Ein Mädchen, „das schöne Platten sammelt und nicht gern zur Schule geht“. So hat eine Einrichtungszeitschrift das Foto eines Jugendzimmers untertitelt. Blaue Wandfarbe, skandinavische Möbel und ein Plattenspieler sind darauf zu sehen.

In ihrem Vortrag „Wohnen zwischen Teen und Twen“ belegte Monique Miggelbrink, wie die Materialiät des Pop in (west-) deutsche Einrichtungszeitschriften der Wirtschaftswunderjahre Einzug gehalten hat. Tatsächlich verfügten Anfang der sechziger Jahre nur 19 Prozent aller westdeutschen Jugendlichen über eigene Zimmer.

Miggelbrink sprach bei der Tagung „Was erzählt Pop?“ die von Donnerstag bis Samstag an der Berliner Universität der Künste (UdK) stattgefunden hat. Zum fünften Mal trafen sich in der „AG Populärkultur und Medien“ Wissenschaftler, Künstler und Journalisten, um Forschungsergebnisse zu präsentieren. Auffallend viele junge Zuhörer fanden sich während der Tagung ein, ein gutes Zeichen.

„Was erzählt Pop?“ Thomas Düllo und Holger Schulze beantworteten diese Grundfrage in ihrem Begrüßungsdialog mit sechs Idealtypen von Italo Calvino: von Leichtigkeit über Genauigkeit zu Haltbarkeit. „Geschichten werden gebaut aus Räumlichkeit, Dinglichkeit und Sichtbarkeit“, so Düllo. Ihre Schichten, (Sprech-)Akte und Taktungen verortet Düllo in der labyrinthischen Musikgeschichte, genauso wie bei nonlinearen Erzählstrategien in neuer Literatur oder in HBO-TV-Serien. So literaturwissenschaftlich ging es zunächst weiter.

Für „Heavy Metal als Narrativ des Drastischen“, am Beispiel eines Songs der kalifornischen Trashmetalband Slayer (1986), führte Esteban Sanchino Martinez Roland Barthes und Terézia Mora an, um die Sprache eines genredefinierenden Meilensteins zu ergründen. „Angel of Death“ handelt von den Verbrechen des KZ-Arztes Josef Mengele und zählt bei rasendem Tempo Tötungsarten auf, ohne sich von der Grausamkeit zu distanzieren. Erzählmuster würden durch eine Ereigniskette heterodiegetischer Splitter gebrochen, erläuterte Sanchino-Martinez und erkannte in der „semiotisch-moralischen Grenzverschiebung“ von Slayer „aufklärerisches Potenzial“. Sein Close-Reading war schlüssig. Dennoch, speziell der hypertheatralische Gesang, der dem Song die apokalyptische Note verleiht, fiel dabei unter den Tisch. Auch fehlte eine Untersuchung der Zeitgebundenheit: War „Angel of Death“ 1986 die geeignete Provokation, müssen Song und Rezeption doch im Lichte der Zeitenwende von 1989 und aus der Perspektive von 2013 differenzierter gelesen werden.

Gut zu erkennen ist das auch an dem Auftritt des Schriftstellers Thomas Meinecke, der die Texte seiner Band FSK performt, „uneigentliches Singen“ soll das werden. „Geh doch nach Indien“ (1981), einen Song, dessen Text Meinecke betont distanziert singt, rechnet mit selbstzufriedenen Hippies ab. In seiner Unversöhnlichkeit wirkt das heute eher fad. Andere FSK-Texte haben den Zeittest besser bestanden, gerade weil sie in ihrer Entstehungsphase weniger an Diskurse gebunden waren.

Das Was mag im Pop wichtig sein, aber dem Wie kommt entscheidende Bedeutung zu, wie Nadja Geer in ihrer Präsentation „Pop, Pose und Postdemokratie“ herausstellte. Die Urszenen der Pose situatierte sie im schwarzen Rock ’n’ Roll und in den Strategien des Camp. Eine gute Figur zu machen ermögliche es, Pop-Subjektpositionen zu sprengen, sagte Geer und malte sich die Zukunft des Pop als einen Materialismus aus, „der in der Pose die physische Idee erkennen lässt“. Dies billigte Geer Barack Obama zu, als er mit Fliegerjacke im Epizentrum von Hurrikan „Sandy“ auftrat und eine Heilsbotschaft inszenierte. Hier ließe sich fragen, ob die Kompromissbereitschaft von Realpolitik mit den kompromisslosen Inszenierungsstrategien von Pop gelesen werden kann. Solche erklärte der Autor Philipp Rhensius sehr anschaulich mit einem Dancefloor-Genre. Für „Dubstep ist Körpermusik“ begab sich Rhensius auf ethnografische Feldforschung nach London, um in der Dubstep-Szene Protagonisten in ihrem Alltag zu begleiten. Weil die „klangliche Dominanz“ bei Dubstep vor allem als Cluberfahrung vor Soundsystems zu machen ist, wird das Klangbad zum zentralen Narrativ und Rhensius’ Feldforschung zu einem „teilnehmenden Hören“. JULIAN WEBER