: Turbulenzen mit Ansage
Der neue SPD-Chef will ein offenes Diskussionsklima schaffen. Die Krisensitzung am Mittwoch gab darauf einen Vorgeschmack
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Politik kann so erbarmungslos einfach sein, sozialdemokratische Politik insbesondere. Da entscheidet sich der Vorstand der SPD am Montagnachmittag für eine neue Generalsekretärin, daraufhin schmeißt der Vorsitzende sein Amt weg, die Partei stürzt in eine Krise – und ganze 55 Stunden später wählt derselbe Vorstand einen neuen Vorsitzenden, einen neuen Generalsekretär, der ein anderer ist als der alte neue vom Montag, und wechselt der Umstände halber gleich noch die halbe Führungsriege aus. Franz Müntefering nennt das ein „reinigendes Gewitter“. So kann man es natürlich auch sehen.
Zumindest ist die SPD wieder handlungsfähig. Ob sie ihre Führungskrise bereits überwunden hat, werden erst die nächsten Wochen zeigen. Die Krisensitzung des Vorstandes am Mittwochabend jedenfalls war noch einmal ein Beleg dafür, dass Gerhard Schröder und Franz Müntefering ihre Partei in den zurückliegenden sieben rot-grünen Jahren wund gescheuert haben. Die Nominierung der neuen Parteispitze war nicht möglich, ohne vorher leidenschaftlich und emotionsgeladen über die Ursachen des Debakels vom Montag zu debattieren, als eine klare Mehrheit des Vorstandes für die Parteilinke Andrea Nahles als neue Generalsekretärin votiert hatte – und gegen den Wunschkandidaten des Parteivorsitzenden, Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel.
Die Müntefering/Wasserhövel-Fraktion warf der Nahles-Fraktion am Mittwoch noch einmal vor, entweder „naiv“ oder „intrigant“ gewesen zu sein, eine dritte Variante gäbe es nicht. Müntefering hätte die volle Unterstützung der Parteiführung gebraucht. Harte Worte fielen, „handfeste Drohungen“ gar, wie ein Linker empfand. Besonders Joachim Poß, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, und Barbara Hendricks, Staatssekretärin im Finanzministerium, fielen über die Nahles-Leute her. Die verteidigten sich mit dem Hinweis, der Rückzug des Parteichefs als Konsequenz eines Nahles-Votums sei nicht abzusehen gewesen. Müntefering selbst hätte am Montag gesagt, dass der Gewinner der Abstimmung auf dem Parteitag als Generalsekretär kandidiere und der Verlierer das akzeptieren müsse. Dies hätte man nur als Einlenken des Vorsitzenden interpretieren können.
Obwohl Müntefering in internen Runden immer wieder einräumt, dass Schröder und er seit der Dekretierung der Agenda 2010 der SPD viel zugemutet haben, obwohl er um die Sorge in der Partei weiß, in einer großen Koalition könnte eine solch schwere Operation erneut vorgenommen werden – bei der Personalie Wasserhövel glaubt er alles richtig gemacht zu haben. Den Nahles-Verteidigern hielt Müntefering am Mittwoch entgegen, sie sollten nicht solche Geschichten erzählen. Jeder hätte die Konsequenzen seines Handelns absehen können. Er habe dreimal deutlich gemacht, wie wichtig ihm Wasserhövel als Generalsekretär seines Vertrauens sei.
Andrea Nahles, die nicht wenigen in der Partei als „Königsmörderin“ gilt, bat daraufhin um eine Unterbrechung der Sitzung. Unter vier Augen teilte sie dem designierten neuen Parteichef Matthias Platzeck mit, dass sie dessen Angebot, stellvertretende SPD-Chefin zu werden, nicht annehmen könne. In der Sitzung zurück, begründete Nahles ihren Schritt. Als sie sprach, soll es im Vorstand mucksmäuschenstill gewesen sein. Platzeck wollte daraufhin die Sitzung unterbrechen, um am Freitag einen neuen Personalvorschlag zu unterbreiten. Er wurde aber vor zwei weiteren Chaostagen gewarnt. Daraufhin zog sich das Präsidium zurück und präsentierte kurze Zeit später eine Überraschung: Elke Ferner wird auf dem „Linken-Ticket“ stellvertretende Parteichefin. Platzecks Personalpaket war wieder komplett – aber ist er jetzt bereits vor seiner Wahl beschädigt?
Platzeck findet schon die Frage verkehrt. Er nannte die Debatte im Vorstand „fair, klar, deutlich, ehrlich“. Er trete als Parteichef an, um ein „offenes Klima“ in der Partei zu schaffen. „Was wäre das denn für eine schlechte Diskussionskultur“, fragte er, „wenn wir vier Stunden diskutierten und anschließend würde sich nichts ändern?“ Den Rückzug von Nahles respektiere er. Sie sei in der Diskussion einfach zu neuen Erkenntnissen gekommen. Das sei doch aller Ehren wert.
Der neue Parteichef also doch nicht bloßgestellt? „In solche Kategorien will ich mich gar nicht erst einordnen lassen“, sagt Platzeck. Er meint es ernst mit seiner Ankündigung, in der SPD eine andere Kultur des Umgangs miteinander zu schaffen. Die Partei, so ein Führungsmitglied, empfindet die Ansage als „Befreiung“.