: Eine Frage der Wortwahl
SPRACHE Das Jahr über wird ja viel geredet – und an seinem Ende das „Wort des Jahres“ gekürt
VON CHRISTIAN SEMLER
Mag auch manches an unserer Muttersprache im Argen liegen, an Wächtern, Betreuern und Kritikern mangelt es ihr nicht. Unter den Institutionen, die sich der deutschen Sprachpflege widmen, hat die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) eine besonders große Resonanz in der Öffentlichkeit, gehört doch seit den Siebzigerjahren die Verkündung des „Wortes des Jahres“ an jedem Jahresende zu den publizistischen Großereignissen. Gekürt wird das Wort von einer Jury, die sich aus den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Gesellschaft und deren Hauptvorstand zusammensetzt. Auch Einsendungen, meist ein paar hundert pro Jahr, werden berücksichtigt.
Die Jury möchte Wörter auswählen, die die öffentliche Diskussion des jeweiligen Jahres bestimmt haben. Aber warum tut sie das ? Nimmt man die Wörter der letzten Jahre als Beispiel, „Finanzkrise“ für 2008, „Klimakatastrophe“ für 2007, „Fanmeile“ für 2006 (anlässlich der Fußball-WM) oder „Bundeskanzlerin“ für 2005 (anlässlich der Bundestagswahl), so findet man nichts als die Verdopplung der Hauptstichworte in den Medien der entsprechenden Jahre. Gewinn gleich null. Ausdrücklich verzichtet die Jury auf Methoden der quantitativen Bewertung, die wenigstens zuverlässige Zahlen über die Häufigkeit einer möglichst großen Zahl eingegebener Stichworte erbringen würde.
Die Suche nach dem „Wort des Jahres“ erfährt nur dann irgendeine Bedeutung, wenn man sie im Zusammenhang mit dem allgemeinen Wahn sieht, ständig Listen aufstellen und an deren Hand ein Ranking durchführen zu müssen. Dieses popkulturelle Phänomen verschwistert sich, je näher das Ende des Jahres rückt, mit Umfragen nach dem Schönsten, Schrecklichsten, Absonderlichsten, das den Befragten in den letzten zwölf Monaten begegnet ist. Unter der Tarnkappe des „Sprachdienstes“ wird eigentlich nichts anderes als eine Veranstaltung namens „Deutschland sucht das Superwort“ inszeniert.
Scheinbar kritischer gibt sich die seit einer Reihe von Jahren etablierte Untersuchung zum Unwort des Jahres, die von einem Institut der Uni Frankfurt durchgeführt wird und einige zehntausend Einsendungen berücksichtigt. Herausgefischt werden Wörter, die „sachlich grob unangemessen sind und möglicherweise die Menschenwürde verletzen“. 2008 kürte die Jury beispielsweise den Begriff „notleidende Banken“. Der Begriff, ursprünglich auf Kredite angewandt, ist weit davon entfernt, die Menschenwürde zu verletzen. Er appelliert vielmehr an eine humane Geste, die Mildtätigkeit (lat. clementia), bekanntlich eine der wichtigsten christlichen Tugenden. Der Staat soll den ins Elend geratenen Institutionen, die jetzt eine milde Gabe erhoffen, beistehen. Keineswegs handelt es sich um eine „grob unangemessene“ Charakterisierung der bittstellenden Banken.
Die Sucht der Auflistung und des Rankings hat binnen wenigen Jahren vom „Unwort“ auf das „bedrohte Wort“, auf das „beste eingewanderte Wort“ und auf das „Jugendwort“ des Jahres übergegriffen. Letztere Wortsuche verrät uns eine weitere Wahnidee. Ständig wird nach angeblich jugendkonformen Neubildungen gefahndet, zum Beispiel das Wort „hartzen“ respektive „abhartzen“ für herumhängende Hartz-IV-Bezieher, das soeben zum Jugendwort des Jahres 2009 gekürt wurde. Damit stellen sich die Juroren wie die Leser das Zeugnis aus, Schritt zu halten und progressiv auf der sprachlich innovativen Seite zu stehen.
Die deutschen Wörter des Jahres haben sich rasch zu einem Exportschlager im deutschsprachigen Raum entwickelt. Auf Österreich folgte die Schweiz, die es allerdings 2009 nur zu einem kümmerlichen „Minarettverbot“ brachte. Politischer verhielt sich das Fürstentum Liechtenstein, das in den vergangenen Jahren gleich zweimal das Wort „Souveränität“ wählte. Dies als trutzige Antwort auf den Versuch feindlicher Mächte, in das souveräne Bankrecht des Fürstentums einzubrechen. 2005 gelang den Liechtensteiner Juroren allerdings ein schönes Unwort: Auberginenfürze.
Für das Wort des Jahres 2009 wagen wir keine Prognose. Wenn man bedenkt, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache beauftragt ist, das Deutsch der neuen Bundesgesetze hinsichtlich ihrer Verständlichkeit zu prüfen – respektive es zu korrigieren –, so bietet sich das ein oder andere Resultat dieser lobenswerten Gutachtertätigkeit aus der letzten Zeit an. Wie wäre es zum Beispiel mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“?