portrait : Einer, der es besser wissen müsste
Das hätte er sich denken können. Und der Ex-Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Albert Meyer, dazu. Michel Friedman musste davon ausgehen, dass Meyers Einladung an ihn, als Redner bei der heutigen Gedenkfeier zur Progromnacht vom 9. November 1938 aufzutreten, nicht ohne Empörung bleiben würde. Jetzt ist sie da. Lautstark meldet sich die erbitterte Friedman-Gegnerin Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des früheren Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski, in der Berliner Zeitung zu Wort: „Das finde ich unerträglich und skandalös.“ Der Gemeindeparlamentspräsident Julius Schoeps schließt sich der Empörung an. Mit den Worten „Friedman muss ich mir nicht anhören“ sagte er ab. Ein Mann, der Zwangsprostituierte aus der Ukraine für seine Sexorgien buchte, ist offenbar kaum die passende Person, die Opfer des Holocaust zu vertreten.
Die Kritiker haben sich viel Zeit gelassen. Bereits im Juni hatte der Spiegel Friedmans Teilnahme an den Feierlichkeiten gemeldet. Es wäre genug Zeit gewesen, Widerstand zu formieren, der unter Umständen den Rückzug des Medienmannes zur Folge gehabt hätte. So, wie die massive Kritik der CDU-Frauen im Mai dazu führte, dass der Talkmaster von seiner Zusage für eine Gesprächsrunde zum Thema Werte auf dem Evangelischen Kirchentag Abstand nahm. Obwohl er die Einwände gegen seine Person nicht nachvollziehen könne.
„Nicht nachvollziehen können“ scheint das zentrale Thema des 49-Jährigen zu sein. Als würde es ausreichen, Jude in Deutschland zu sein und behände reden zu können, fordert der Mahner unablässig die Bereitschaft zum Vergessen in eigener Sache. Als hätte er sich neu erfunden, drängt Bärbel Schäfers Gatte an das Licht der Öffentlichkeit. Als Gast in Talkshows, als Gastgeber von Talkshows, mit einem Roman, als Redner in Wertediskussionen, als Vertreter der Opfer des Holocaust. Er, der sich nie bei den von ihm benutzten Frauen entschuldigte, kann es nicht nachvollziehen, dass sich Empörung bildet, wo er sich anmaßt, über Ethik und Menschenrechte, Moral und Respekt zu sprechen. Dabei liegt das „nicht nachvollziehen können“ auch auf Seiten seiner Gegner. Frauen zumeist, die nicht begreifen können, dass jemand, der durch seine eigene Familiengeschichte sensibilisiert sein müsste für das, was es heißt, Opfer zu werden, dass ein ehemaliger Vizepräsident des Zentralrats der Juden mit Menschenhändlern kooperiert und die Chuzpe hat, für die Verfolgten und Ermordeten sprechen zu wollen. Michel Friedman wird es geahnt haben, dass sein Auftreten bei der Gedenkfeier heftige Reaktionen hervorrufen würde. Vielleicht hat er es gewollt. SILKE BURMESTER