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Archiv-Artikel

„Welt der Chancen“

„Das ganze Leben ist eine unternehmerische Idee“, sagt Herbert Henzler. Andächtig lauscht dieDFB-Auswahl den Worten des Beraters. Mental gestärkt geht sie ins Länderspiel gegen Frankreich

„Nicht das Erzählte reicht, sonderndas Erreichte zählt.Wir rutschendoch überall ab,im Sport ebensowie in derSpitzentechnologie“

Vor dem Abflug der Nationalmannschaft zum Länderspiel nach Paris (heute 21 Uhr, ZDF) hat Bundestrainer Jürgen Klinsmann seiner Mannschaft wieder einmal eine Weiterbildung verordnet, ein Studium generale, das zum Gewinn der WM-Trophäe unerlässlich ist. Es sprach die Legende unter den Unternehmensberatern, der frühere McKinsey-Chef Herbert Henzler, zudem Vorsitzender des Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat der FC Bayern München AG. Den taz-Leibesübungen liegt das Protokoll dieser Lehrstunde vor.

Herbert Henzler: Liebes Team, ich habe einen Traum …

Jürgen Klinsmann (sowie eine Hand voll Spieler): Aber wir doch auch!

Henzler: Also noch mal, ich habe einen Traum. Meine Traumwelt ist eine Gesellschaft, in der zwei Sätze das allgemeine Bewusstsein bestimmen: „Das ganze Leben ist eine unternehmerische Idee“ und „Jeder hat die Chance auf Wechsel“.

Jens Lehmann: Was er nicht sagt.

Michael Ballack (hinter vorgehaltener Hand): Der McDingens-Typ hat Glück, dass der Olli nich hier ist.

Joachim Löw: Das mit dem Wechsel kann ich absolut bestätigen. In unserem 22er-Kader hat knapp die Hälfte der Spieler eine Chance auf einen Wechsel, sogar der Oliver Kahn. Und zwar bei fast jedem Spiel.

Henzler: Schön. Das höchste Ziel ist es freilich, möglichst viel Wissen zu erlangen und weiterzugeben.

Klinsmann (zu Henzler): Da kann ich Ihnen eins sagen: In Paris werden elf Mann auf dem Platz stehen, die mit Eifer an die Aufgabe herangehen und das erlangte Wissen weitergeben an …

Henzler: … einen Wissens- und Erfahrungspool.

Bastian Schweinsteiger: Kann man darin auch baden, Herr Heinzel?

Henzler: Ich will es so erklären: In meinem Traum sitzt ein alter Mann in der Abenddämmerung auf einem Stein und erinnert sich an ein Leben voller Arbeit. Er war ein Macher, ein unermüdlicher Geist. Nun blickt er auf ein Feld mit reifen Ähren. Er weiß genau, wie wichtig jedes einzelne Korn für die Ernährung ist.

Schweinsteiger: Hä?

Ballack: Ist doch ganz einfach, Schweini. Wer nicht mehr genug Körner hat, der is platt.

Lukas Podolski: Leuchtet mir ein. Ich hab Hunger.

Lehmann summt die Melodie von „Ein Bett im Kornfeld“

Klinsmann: Jens, jetzt lass doch mal gut sein. Ich geb dir einen guten Rat: Denk lieber an den Lehrsatz vom Wechsel.

Henzler: In meiner Welt der Chancen steht der Mensch ganz oben …

Lehmann (nuschelnd): Und in meiner Welt der Chancen bin ich der Chancentod.

Henzler: … und die Maschinen sind die Helfer des Menschen.

Podolski: Autos oder was?

Henzler: Ja, meinetwegen Autos.

Ballack: Autos ist gut. Da haben die Franzmänner ja immer weniger von, die fackeln sie ja alle ab, ihre „Helfer“.

Klinsmann: Michael, reiß du dich wenigstens zusammen. Von Gefahr kann in Paris in keinster Weise die Rede sein. Die Sache ist sehr, sehr sicher.

Löw: Absolut sicher.

Oliver Bierhoff: Total sicher.

Löw: Außerdem haben wir ja zwei Bodyguards mit dabei.

Henzler: Ich will fortfahren. Wenn die Herren dann bereit wären. Innovation ist schweißtreibend, ist Kärrner-Arbeit für alle. Entscheidend ist, dass …

Kevin Kuranyi (sinnierend): Beim Kerner war ich mal zum Interview. Das ist ne Pfeife, schlimmer als wie der Beckmann.

Bierhoff: Also, entscheidend ist, dass wir rennen bis zum Umfallen. Dass wir Engagement zeigen, Leidenschaft, Laufbereitschaft. Ne, Jungs!? In Deutschland verharrt ja alles, auch politisch. Da ist Fußball ein Ventil. Daran wollen die Leute sich aufrichten.

Henzler: Besser hätte ich es nicht sagen können, lieber Olli. Wir bräuchten mehr solcheTypen, Vorbilder, Unternehmertypen. Bei uns dagegen sind Leute wie Dieter Bohlen die modernen Heroen. Mit denen können sie den Wettbewerb um technologische Führerschaft nie gewinnen.

Löw (kaum hörbar zu Klinsmann): Uns würde schon eine technische reichen.

Kuranyi: Was hat der gegen Bohlen? Versteh ich nich.

Bierhoff (instruktiv): Kevin, du kennst doch bestimmt das Lebensmotto des Herrn Henzler, ich hab euch ja einen kleinen Handzettel zur Vorbereitung auf diese Runde auf die Minibar gelegt.

Kuranyi: Ach so.

Bierhoff: Noch einmal für alle. Das Lebensmotto des Herrn Henzler lautet: „Nur diejenigen, die in ihrem Leben tun, was sie mit Begeisterung tun, was sie aus vollem Herzen tun, werden Erfolg haben.“ Davon wollen wir uns eine Scheibe abschneiden.

Lehmann (zu Kuranyi und Friedrich): Und Nutella draufschmieren (Erheiterung).

Podolski: Ich hab Hunger.

Henzler: Ich bin sicher, wir schaffen den Turnaround.

Löw: Also, liebe Leute, Turn$around, das ist wie nach einem 0:2 noch gewinnen.

Klinsmann (legt eine CD von The Mamas and The Papas mit dem Titel „California Dreamin“ auf): Vielen, vielen Dank, Herr Henzler. Und jetzt mal alle: „… dreamin’ on such a winter’s day.“

Zusammengestellt von Markus Völker; bei den Aussagen von Herbert Henzler handelt es sich weitgehend um Originalzitate; Mitarbeit: Bernd Müllender