SPD schluckt klaglos Kröten : KOMMENTAR VON BETTINA GAUS
Rührung kam auf beim Abschied von Gerhard Schröder, herzlich und dankbar applaudierten die Delegierten ihrem scheidenden Vorsitzenden Franz Müntefering. Das war’s dann aber auch mit der Gefühligkeit. Von Erneuerung ist zwar viel die Rede auf dem SPD-Parteitag, aber wenig zu spüren. Genugtuung, Freude gar will sich nicht einstellen über den Koalitionsvertrag. Worüber sollte sich die Basis auch freuen? Schonungslos zählte Müntefering die Kröten auf, die sie nun schlucken muss. Die knappe Zusammenfassung machte deutlich: Es handelt sich um die reinste Krötenwanderung. Und kein Tunnel weit und breit.
Aber so unzufrieden viele Delegierte auch sein mögen: Wer wütend und verärgert ist, lässt diesen Gefühlen keinen Lauf. Diszipliniert werden die Hausaufgaben erledigt. Auch die meisten Kritiker des Koalitionsvertrages kündigen an, der Vereinbarung dennoch zustimmen zu wollen. Eine reine Routineveranstaltung scheint dieser Parteitag zu sein. Keine Überraschungen, sachliche Atmosphäre, unspektakuläre Diskussionen. Genau das ist allerdings die eigentliche Überraschung.
Vor gerade mal zwei Wochen schien die Partei in Auflösung begriffen zu sein. Führungskrise, Koalition in Gefahr, Fassungslosigkeit. Und nun? War da was? Alles halb so wild: Das ist die Botschaft, die von Karlsruhe ausgehen soll. Falls die SPD beweisen möchte, dass es ihr auch nach den größten Verwerfungen möglich ist, umstandslos zur Tagesordnung zurückzukehren, dann ist ihr das gelungen. Vielleicht blieb zu diesem kritischen Zeitpunkt den Delegierten auch gar nichts anderes übrig. Fatal aber wäre es, ein solches Verhalten mit Professionalität zu verwechseln und zu glauben, nun sei ja alles wieder in Ordnung.
Professionell ist es, sich mit den Ursachen einer Krise zu beschäftigen. Es hat sich gezeigt, was passieren kann, wenn inhaltliche Konflikte über Personalien ausgetragen werden – aber es sieht so aus, als ob keine Lehren daraus gezogen werden. Über kein anderes Thema wird auf dem Parteitag so viel geredet wie über den mutmaßlichen Ausgang der heutigen Vorstandswahlen. Das ist kein gutes Zeichen. Matthias Platzeck hat viel zu tun, wenn er tatsächlich etwas verändern will.