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Archiv-Artikel

Wennemer nimmer satt

Arbeitsplatz-Kahlschlag bei Continental: Der Reifen-Riese kürzt 320 Jobs im Stammwerk, trotz schwarzer Zahlen. Sogar der arbeitgeberfreundliche Gewerkschafts-Chef Schmoldt ist wütend

Von Kai Schöneberg

Wenn der arbeitgeberfreundlichste und auch schrödernächste Gewerkschafter ungehemmt Richtung Bosse wütet, dürfte es sich um ein besonders arges Zerwürfnis handeln. Insofern hatte es eine neue Qualität, als Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau. Chemie, Energie (IG BCE) gestern Manfred Wennemer angiftete. Der Conti-Chef wolle zu Lasten der Beschäftigten offensichtlich nur seinen Ruf als „Dividenden-Erhöher“ verteidigen. Warum, so Schmoldt, hätten die Beschäftigten im Conti-Stammwerk in Hannover-Stöcken „Opfer“ gebracht, wenn Wennemer wenig später das „Fallbeil“ senke? Bis zum Ende kommenden Jahres sollen im Stammwerk 320 Stellen abgebaut werden. In Hannover arbeiten derzeit 3.700 Conti-Beschäftigte. Noch.

Wennemer hatte ja nur Wort gehalten und an diesem Dienstag vollzogen, was er seit langem angekündigt hatte. Bereits im vergangenen Jahr hatte der Diplom-Mathematiker orakelt, die Reifenproduktion habe langfristig in Deutschland keine Perspektive mehr. Da rüffelte selbst Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff das „Schlechtreden des Standorts Deutschland“.

Die Empörung über den Heuschrecken-Manager ist groß, weil die Arbeitnehmer erst vor kurzem eingewilligt hatten, 40 Stunden ohne Lohnausgleich zu arbeiten. Gewerkschafter, die vom Druck in der Firma berichteten, waren in aller Öffentlichkeit in Tränen ausgebrochen.

Conti begründete die Kündigung der Betriebsvereinbarung aus dem Mai dieses Jahres damit, dass die Entwicklung auf dem Reifenmarkt schlechter sei als prognostiziert. Zudem sei das Werk mit rund 1,3 Millionen Pkw-Reifen im Jahr zu klein und zu teuer. Die Kosten in Stöcken seien höher als in jedem anderen Werk in Westeuropa. „Wir reden da nicht über zehn Cent, sondern über Euro pro produziertem Reifen“, hatte Wennemer am Wochenende gesagt.

„Zum ersten Mal soll jetzt eine Produktion geschlossen werden, die profitabel arbeitet“, sagte ein Sprecher der IG BCE. Angesichts von Rekord-Bilanzen stelle sich „die Frage nach der sozialen Verantwortung von Continental“. Bei den Gewinnen fahre der „Manager des Jahres“ jedes Jahr neue Rekorde ein. Arbeitern stelle sich „schon lange die Frage: Ist Wennemer eigentlich nimmer satt?“ Conti handle nicht nur „wirtschaftlich widersinnig“, sondern „sogar rücksichtslos“, sagte Niedersachsens IG-Metall-Chef Hartmut Meine. Wennemer habe allein die Gewinnmaximierung zur Richtschnur seines Handelns gemacht, sagte SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner. Die Art und Weise, wie der Conti-Boss mit den Beschäftigten umgehe, sei „eine Provokation für alle, die die Sozialpartnerschaft ernst nehmen.“ Auch Ministerpräsident Wulff bedauerte.

Seitdem Wennemer im September 2001 den Posten als Vorstandschef bei dem damals kriselnden Reifenproduzenten Conti übernahm, ging es mit dem Geschäft stetig bergauf. Im Herbst 2003 kehrte Conti nach sieben Jahren in den Aktienindex DAX zurück. In diesem Jahr verdiente das Unternehmen bereits in den ersten neun Monaten so viel wie im gesamten Vorjahr: Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern erhöhte sich um fast 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr und überschritt damit die Milliarden-Euro-Grenze. Bei der Verlagerung von Produktion ins Ausland gilt Conti als Vorreiter nicht nur in der Autoindustrie.

Conti habe keine andere Wahl gehabt, sagte ein Sprecher. Das Management sei dafür verantwortlich, dass der Konzern mit rund 81.000 Beschäftigten insgesamt gut aufgestellt sei. Dies umfasse „auch Entscheidungen, die nicht beliebt sind“. Die Conti-Aktie notierte am Dienstag fast unverändert bei 71,00 Euro.