: Berlin in Moll
WETTER Kaum ein Jahresanfang war so düster wie dieser. Die Folgen: Mehr Grippekranke und grassierende Sehnsucht nach dem Süden. Dumm nur: Auch der Rest-Februar bleibt wohl trübe
■ Das sagt wetter.com: Höchsttemperatur am Donnerstag –2 Grad. Leichter Schneefall, die Sonne kämpft sich nicht durch.
■ Das sagt meteomedia: Sonnenscheinstunden: 0,1, mäßiger Wind aus Nord, leichter Schneefall. Keine Besserung in Sicht.
■ Das sagt weather pro: Sonnenscheindauer Donnerstag: 0 Minuten. Sonnenscheindauer Freitag: 6 Minuten. Sonnenscheindauer Samstag wie gehabt: 0 Minuten. (taz)
VON FELIX AUSTEN, IGOR MITCHNIK UND BERT SCHULZ
Kein Sonnenstrahl, nirgends: Die ersten zwei Monate im Jahr 2013 gehörten zu den düstersten seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen. Im Januar registrierte die Wetterstation des Meteorologischen Instituts der Freien Universität gerade mal 21,6 Stunden Sonnenschein. Normal, sprich langjähriger Durchschnitt wären 45,4 Stunden, berichtet Diplommeteorologin Diana Schmiedel. Noch furchterregender war bisher der Februar. Nur 33 Prozent der Normalwerts an Sonnenschein seien bisher erreicht. Und es deutet nichts darauf hin, dass sich daran noch viel ändert: Auf der Wetterwebsite der FU findet sich für die nächsten fünf Tage kein einziges Sonnen-Icon.
„Das war schon extrem wenig Sonne“, fasst Diana Schmiedel die beiden Monate zusammen. Als Ursache nennt sie das Fehlen stabiler Hochdruckgebiete über Osteuropa, die auch Berlin klaren Himmel gesichert hätten. Stattdessen sei ein Tief nach dem anderen über das Land hinweggezogen. „Wir hatten einfach Pech“, so die Meteorologin. Immerhin ist Berlin keine Ausnahme: Laut dem Meteorologen Dominik Jung vom Wetterportal wetter.net war der Januar bundesweit der dunkelste Januar seit 1951 und der zweitdunkelste Monat überhaupt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
Die Folge: Den Berlinern fehlen die lichten Momente. „Dieses Jahr haben wir außergewöhnlich viele Grippeerkrankungen gehabt“, sagt ein Apotheker in Kreuzberg über den Januar. Lichtmangel schwäche das Immunsystem. „Die Leute sind gar nicht mehr gesund geworden.“ Vor allem aber schlägt der Photonenmangel aufs Gemüt: Hoch konzentrierte Johanniskrautpräparate, natürliche Antidepressiva, gingen besonders gut in diesen dunklen Monaten. „Manche Leute schicken wir aber direkt zum Facharzt, der kann richtige Chemie verschreiben.“
Gut verkaufe sich auch Sonnencreme, sagt der Mann im weißen Kittel und weist auf eine Formation gelber Tuben. Denn wer es sich leisten kann, fliegt der Sonne hinterher. „Da gibt es die Kanarengruppe und die Skifahrer“, sagt die Verkäuferin eines Kreuzberger Reisbüros. „Das läuft immer im Winter.“
STEFANIE GOTTSCHALK, SONNENSTUDIOLEITERIN
Wer sich keine Reise leisten kann, kann ein paar Euro für eine künstliche Lichtdosis hinblättern. Die kassiert dann zum Beispiel Stefanie Gottschalk, Leiterin des Sonnenstudios „Sun City“. „Im Winter kommen die ganzen Bleichen aus dem Büro angestapft“, sagt die 29-Jährige. Denen gebe sie dann leichte, dafür lange Sessions. „Einen Effekt gibt’s eigentlich erst nach dem dritten Mal, die steigen aber trotzdem alle aus der Sonnenbank und grinsen.“ Auch den Stammkunden merke sie das Dunkel an: „Die Leute sonnen sich nicht öfter, meckern aber die ganze Zeit rum.“
Zu Hause bleiben ist allerdings keine Lösung: „Selbst im Winter sollte man täglich wenigstens eine Stunde lang spazieren gehen“, sagt Alenka Tschischka, Sprecherin des Bundesverbandes Deutscher Psychologen. Sonst werde man schnell traurig oder sogar depressiv. In Skandinavien, wo es im Winter noch länger dunkel ist als in Berlin, fliehen die Menschen in spezielle, besonders helle Lichtcafés, berichtet Tschischka. Selbst in München, nicht unbedingt bekannt für Tristesse, gibt es schon ein solches Café. Vielleicht ist das auch eine Marktlücke in Berlin?